So erkennen Sie Bedürfnisse bei Stakeholdern
Wir können keine Gedanken lesen. Daher ist es wichtig, genau zuzuhören und aufmerksam zu beobachten, wie unsere GesprächspartnerInnen agieren und reagieren.
In der Podcast-Episode 168 sprechen wir darüber, wie Sie die psychischen Bedürfnisse Ihrer GesprächspartnerInnen erkennen können. Denn es ist so wichtig diese zu berücksichtigen in der Präventionsarbeit, damit die Leute gerne mitmachen in Arbeitssicherheit und BGM.
Stellen Sie sich vor:
Sie bekommen eine Anfrage von einer neuen Firma. Sie sollen dort ein Betriebliches Gesundheitsmanagement aufsetzen. Sie haben ein Erstgespräch mit der Personalchefin, die Ihnen in einer guten halben Stunde erklärt, dass es schon mal vor einigen Jahren eine MitarbeiterInnen-Befragung gab, seit 3 Jahren gibt es eine vergünstigte Fitness-Center-Mitgliedschaft für die Beschäftigten, aber diese nutzen wenige Leute. Der Arbeitsmediziner kommt alle paar Monate vorbei und macht das gesetzlich Notwendige.
Die Personalchefin wirkt ein bisschen planlos, was BGM angeht, aber sie hat den Auftrag von der Geschäftsführerin sich darum zu kümmern, weil die Krankenstände so hoch sind und auch, weil die Geschäftsführerin gelesen hat, dass man mit einem guten BGM gute BewerberInnen anzieht.
Nach der halben Stunde will die Dame, dass Sie der Firma ein Angebot stellen mit den Kosten für das kommende Jahr.
- Was machen Sie?
- Welche Fragen würden Sie ihr jetzt noch stellen?
- Was schreiben Sie in das Angebot?
Die Gelegenheit, die sich bietet, ist klar:
Wenn Sie hier zusammenkommen, haben Sie einen neuen Firmenkunden mit einem schönen großen Auftrag.
Aber um das zu schaffen, braucht es nicht nur fachlich ein gutes Angebot, sondern Sie brauchen auch ein gutes Gespür dafür, was der Personalchefin wichtig ist und auch wie die Firmenkultur tickt. Damit Sie das bei Ihrem Konzept und beim Angebot mitberücksichtigen können. Damit Sie sozusagen "Die Leute dort abholen, wo sie gerade stehen".
Und da kommen die psychischen Bedürfnisse ins Spiel. In diesem Fall vor allem die Bedürfnisse der Personalchefin, aber auch die vermuteten Bedürfnisse der Geschäftsführerin.
Die 3 wichtigsten, psychischen Bedürfnisse, die unser Verhalten antreiben
In der Podcast-Episode 167 ging es um diese 3 wichtigsten, psychischen Bedürfnisse, die unser Verhalten antreiben. Und damit auch das Gesundheits- und Sicherheitsverhalten, das wir ja mit unserer Präventionsarbeit beeinflussen wollen:
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Macht
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Beziehung
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Leistung
Motiv |
Beschreibung |
Leistung |
Ich will erfolgreich sein und meine Kompetenz durch das Lösen kniffliger Aufgaben unter Beweis stellen. |
Macht |
Ich will andere Menschen und Prozesse beeinflussen. |
Beziehung |
Ich will mich mit anderen Leuten austauschen und in Kontakt sein. |
Wenn Sie diese 3 Bedürfnisse nicht berücksichtigen in Ihren Angeboten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Leute z.B. nicht gerne mitmachen bei Ihren Seminaren und vielleicht nur mit Druck Maßnahmen umsetzen.
Und heute wollen wir uns anschauen:
Wie erkennt man überhaupt, welche Bedürfnisse unsere GesprächspartnerInnen haben?
Das ist nicht trivial: Jede oder jeder, die/der Ihnen erzählt, dass es leicht ist, Menschen zu interpretieren, kennt sich nicht aus. Wir können keine Gedanken lesen. Daher ist es wichtig, genau zuzuhören und aufmerksam zu beobachten, wie unsere GesprächspartnerInnen agieren und reagieren.
3 Aspekte, die uns einen Hinweise geben auf die zugrunde liegenden Bedürfnisse eines Menschen:
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Verhaltensweisen
-
Was sie so erzählen über den Alltag
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Emotionale Reaktionen / Ausbrüche
Menschen, bei denen das Bedürfnis nach Macht und Einfluss sehr stark ist (auf einer Skala von 1 bis 10: 9 Punkte), verhalten sich nun mal anders als Menschen die hier 2 von 10 Punkte haben.
Menschen mit einem hohen Bedürfnis nach Macht
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freuen sich, wenn sie sozusagen die "Alleinherrschaft" haben.
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sind stolz darauf, alles im Griff zu haben.
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hassen es, wenn sie sich in Meetings oder bei Diskussionen nicht durchsetzen können.
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übernehmen gerne die Rolle des Anführers.
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wollen Verantwortung übernehmen.
Menschen mit geringem Bedürfnis nach Macht
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freuen sich, wenn sie anderen freie Hand lassen in einem Projekt.
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fühlen sich unwohl, wenn sie etwas entscheiden sollten und fragen ständig andere Leute nach deren Meinung.
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ärgern sich, wenn sie als Führungskraft für alles verantwortlich sind.
Soweit die Theorie und Grundlage, aber ... Die Zusammenhänge sind komplex. Bei der Interpretation ist es wichtig zu bedenken, dass ein einzelnes Verhalten auf unterschiedliche Bedürfnisse zurückgeführt werden kann. Manchmal bestehen Menschen auf die strikte Einhaltung von vereinbarten Deadlines, weil ihnen Ordnung und Struktur extrem wichtig sind. Es kann jedoch auch sein, dass sich die Projektleitung dadurch Anerkennung vonseiten der Geschäftsführung sichern will. Diese sogenannte Multikausalität von Verhalten gilt es zu berücksichtigen.
Gleichzeitig kann auch ein und dasselbe Bedürfnis auf unterschiedliche Arten gestillt werden. So kann etwa ein oder eine MitarbeiterIn das Bedürfnis nach Anerkennung bei der Geschäftsleitung dadurch zu decken versuchen, dass er oder sie viele Überstunden macht und dadurch von der – ebenfalls noch spät anwesenden – Geschäftsleitung lobende Worte erntet ("Auch lang im Büro? Super! Sie setzen sich richtig ein!").
Deshalb:
Jede Interpretation ist eine Hypothese. Diese kann bei der nächsten Interaktion, also beim nächsten Gespräch, wieder verworfen werden oder sich eben festigen.
Weitere Einflussfaktoren
Nicht nur die Bedürfnisse prägen unser Handeln, sondern auch viele weitere Aspekte:
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Soziale Dynamiken und soziale Lernerfahrungen: Wer behält oft das letzte Wort? Herrscht psychologische Sicherheit in der Gruppe? Welche Argumente sind in Diskussionen oft erfolgreich?
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Selbstwert-Erhaltung: Werde ich positiv wahrgenommen oder kritisiert? Wenn ja: Von wem? Finde ich diese Person trotzdem sympathisch oder beeinträchtigt das unsere Zusammenarbeit?
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Bewusstsein und Wirkung: Bin ich mir meiner zugrunde liegenden Motive bewusst? Passt das zu meiner beruflichen Rolle? Welche Wirkung will ich nach außen erzielen?
Daran sieht man annähernd, wie komplex die menschliche Psyche ist und wie vorsichtig man mit schnellen Schlüssen sein sollte. Menschen und ihre Psyche sind nun einmal nicht einfach. Betrachten Sie es als Herausforderung und verstehen Sie Ihre Interpretationen als ständig zu überprüfende Hypothese, die beim nächsten Gespräch mit einer Person schon wieder verworfen werden kann. Je mehr Hinweise Sie für ein bestimmtes Bedürfnis entdecken, desto wahrscheinlicher ist es.
Ich erzähle das mehr im Detail in dem Kurs "Bedürfnisorientierte Prävention". Da gibt es dann auch konkrete Fragen, die man stellen kann, um die Bedürfnisse rauszuhören. Wir sammeln Indizien für Bedürfnisse. Alle Teilnehmenden gestalten gezielt Angebote für aktuelle Kundenprojekte, also z.B. eine Einladung für Führungskräfte-Workshops zum Thema Burnout oder auch eine Liste mit Argumenten, um eine Geschäftsführung von einem Sicherheits- und Gesundheitsmanagementsystem zu überzeugen. Die Teilnehmenden üben empathisch zuzuhören und auch differenziert wahrzunehmen.
Einmal im Jahr gibt es da den Intensiv-Lehrgang, der über ein ganzes Semester geht. Der läuft immer von Januar bis Juni. Und dann gibt's noch eine Kompaktvariante im Herbst: 1 Abend und 2 volle Tage. Alle Details gibt's hier: https://pionierederpraevention.com/bop/ .
Eine Teilnehmerin aus 2024 sagte nach dem Modul 1:
"Mein Aha Erlebnis in diesem Modul war, dass ich in Zukunft meine Angebote besser und zielgerichteter für meine Kunden ausarbeite. Wer genau ist mein Kunde und welches Bedürfnis hat er aufgrund seiner Position und seiner Persönlichkeit."
Eine andere Teilnehmerin schrieb:
"Dank meiner Empathiefähigkeit und Intuition kann ich Beratungen schon ganz gut steuern, aber mit wissenschaftlichem Background ist das eine wundervolle Ergänzung. Ich denke aber auch, dass mich diese Fortbildung auch im Rahmen meiner zukünftigen Coaching-Tätigkeit unterstützen kann."
Wenn Sie nicht sicher sind, ob der Lehrgang das Richtige für Sie ist, melden Sie sich gern bei mir (z.B. via LinkedIn oder E-Mail) und ich erzähle Ihnen mehr, damit Sie sich gut entscheiden können.
Beobachtungsaufgabe der Woche:
Bei Ihrem nächsten längeren Gespräch mit einer Person hören Sie mal genau hin und stellen Sie eine Vermutung auf:
Welches ist das stärkste Bedürfnis dieser Person: Macht, gute Beziehung zu anderen oder Leistung bringen?
Weitere Empfehlungen:
- Podcast-Episode 167:"Das triggert Motivation: Die 3 wichtigsten Grundbedürfnisse von Menschen"
- Podcast-Episode 149: "Bewusstsein für Arbeitssicherheit heben bei FK mit Bedürfnisorientierung"
- Podcast-Episode 147: "Bedürfnisorientierte Prävention - eine Einführung"
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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