HRweb: Evaluierung psychischer Belastungen – selbst machen oder auslagern?
Viele Betriebe stehen vor der Frage, ob sie die Evaluierung der arbeitsbedingten psychischen Belastungen selbst in Angriff nehmen wollen oder ob sie sich Unterstützung von außen holen. Gerade die vielen österreichischen Kleinstbetriebe wollen hier Kosten sparen. In diesem Artikel gebe ich eine Entscheidungshilfe.
Was braucht man zum Evaluieren?
Für eine rechtssichere, qualitätsvolle Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz benötigt man einerseits theoretisches Wissen aus unterschiedlichen Bereichen und andererseits Wissen über das Unternehmen. Hier eine Auflistung der jeweiligen Thematiken:
Theoretisches Wissen
- Wissen über die Definition von psychischen Belastungen und Beanspruchungen
- Wissen zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz in Österreich und angrenzenden Verordnungen
- Überblick über mögliche Verfahren und anzuwendende Qualitätskriterien
- Kompetenz spezifische Messverfahren anzuwenden (z.B. Interviewtechniken, Moderationstechniken, Interpretation von statistischen Auswertungen…)
- Arbeitswissenschaftliche und arbeitspsychologische Grundlagen zur Arbeitsgestaltung (Stichwort: Menschengerechte Arbeitsgestaltung)
- Prozessgestaltung und Projektmanagement
Wissen rund um das Unternehmen
- Welche Arbeitsplätze sind im Unternehmen vorhanden?
- Welche Personen sind wichtige Stakeholer? Wen muss man einbinden?
- Welche Arten von Befragungen wurden bereits in der Firmengeschichte durchgeführt? Welche Erfahrungen wurden hier gemacht?
- Gab es bereits psychosoziale Interventionen? Wie wurden diese angenommen?
- Wo sind offene oder unausgesprochene Konflikte vorhanden?
- Dieses Wissen kann entweder in einer Person vereint sein oder auch auf mehrere Personen verteilt sein.
Welches Wissen und welche Kompetenzen sind im Betrieb vorhanden?
Überlegen Sie zu Beginn, welche Person oder Personen diese Kompetenzen vorweisen können. Es ist kein Problem, wenn mehrere Personen gemeinsam dieses Wissen vereinen, wenn diese dann eine Steuergruppe für das Projekt bilden beziehungsweise sich vor allem bei der Konzeptionierung einbringen können.
Es macht keinen Sinn, die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz einem Mitarbeiter zu übertragen, nur weil er gerade freie zeitliche Ressourcen hat bzw. sich oberflächlich für das Thema interessiert.
Welches Wissen kann man sich schnell selbst aneignen?
Als interner Mitarbeiter kann man sich innerhalb einiger Stunden einen Theorie-Überblick aneignen. Sie finden hierzu unter dem Artikel Links mit vielen hilfreichen Informationen.
Auch die Details zu den Messverfahren kann man je nach Vorwissen in einigen Stunden oder Seminartagen lernen. Moderationserfahrung mit Gruppen oder arbeitswissenschaftliches Vorwissen helfen natürlich sehr dabei.
Es gibt viele Seminaranbieter, wie beispielsweise die AUVA, die hier Einführungsseminare zur Thematik und zu einzelnen Messverfahren anbieten. Häufig werden in diesem Zusammenhang auch wertvolle Tipps zur Konzeptionierung gegeben und es gibt die Möglichkeit Fragen zu stellen hinsichtlich der Anwendung im eigenen Unternehmen.
Nach einem solchen Einführungsseminar können Sie als interner Mitarbeiter sicherlich leichter beurteilen, welche Kompetenzen Sie selbst besitzen und welche Tätigkeiten Sie extern auslagern möchten.
Wie anonym kann es ablaufen?
Anonymität selbst ist kein Kriterium für die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Sie wird aber häufig von den MitarbeiterInnen und dem Betriebsrat vorausgesetzt. Daher sollte dieses Thema sollte zu Beginn der Projektplanung thematisiert werden! Wenn die Mitarbeiter Angst haben, dass ein Fragebogen nicht anonym ausgewertet wird, ist häufig der Rücklauf sehr gering oder die Antworten sind unehrlich.
Auch bei Gruppendiskussionen und Einzelinterviews muss zu Beginn geklärt werden, welche Informationen an wen weitergegeben werden. Diese Vorbedingung gilt immer, egal ob die Evaluierung psychischer Belastungen intern oder extern begleitet wird.
Wie neutral sind die Beauftragten?
Die Projektleitung und alle durchführenden Personen müssen einerseits neutral gegenüber dem Mitarbeiter aber auch neutral gegenüber den benannten Stressfaktoren sein. Die Wertschätzung und Objektivität gegenüber dem Mitarbeiter drückt sich dadurch aus, dass man die Meinung der Person akzeptiert, auch wenn man die Einschätzung nicht teilt, aber die Person auch nicht übermäßig bemitleidet und womöglich selbst andere Personen beschuldigt.
Stressfaktoren sollten nicht kleingeredet werden. Wenn man als interner Moderator oder Interviewer selbst an Stressfaktoren beteiligt ist, darf man keinesfalls sich gleich rechtfertigen.
Das ist vor allem bei der Moderation von Gruppendiskussionen und bei Interviews wichtig.
Diese Objektivität ist meistens schwierig, wenn sich die Personen schon vorher kennen und schon eine „Vorgeschichte“ miteinander haben. Daher sollten in hier zumindest keine hierarchischen Abhängigkeiten vorhanden sein!
Auch Betriebsräte können in diesem Zusammenhang selten vollständig neutral sein, weil sie auch eigene Bedürfnisse im Unternehmen durchbringen wollen und eine spezielle Rolle gegenüber der Geschäftsführung spielen.
Und selbst wenn die Person die Moderation oder das Interview absolut neutral durchführt, ist fraglich ob andere Personen das Ergebnis als neutral ansehen. Es geht daher auch immer darum das Ergebnis als neutral und professionell erhoben zu „verkaufen“ z.B. gegenüber den Führungskräften. Sonst kann hier schnell die Aussage kommen: „Na klar ist das Ergebnis so rausgekommen. Du willst diese Maßnahme ja schon seit Jahren durchbringen!“
Vorteile einer betriebsinternen Evaluierung
Ein interner Projektleiter kennt häufig alle Details der Betriebsorganisation, kennt die Eigenheiten und Bedürfnisse der Stakeholder. Einem externen Berater oder Arbeitspsychologen müssen diese Informationen erst erzählt werden. Manche Eigenheiten von Personen kann man auch erst nach der Zusammenarbeit gut einschätzen.
Einen internen Mitarbeiter als Moderator oder Interviewer einzusetzen kostet dem Arbeitgeber häufig nur die Arbeitszeit. Aber diese darf nicht unterschätzt werden, da sonst die Evaluierung noch mehr Stress verursacht.
Vorteile einer externen Evaluierung
Negative Arbeitsbedingungen kann jemand, der nicht in der Organisation selbst arbeitet, offener ansprechen. Als Berater muss ich nicht langfristig mit den Führungskräften zusammenarbeiten und kann sie bewusst „vor den Kopf stoßen“ mit offenen Ansagen und kreativen Maßnahmenvorschlägen.
Implizite Konflikte können von externen Personen leichter angesprochen werden, weil sie nicht Teil des Systems sind. Es gibt dann sicher keine hierarchischen oder impliziten Abhängigkeiten.
Ein externer Arbettspsychologe kann auch „dumme Fragen“ stellen und Arbeitsbedingungen hinterfragen. Er ist nicht betriebsblind und kennt viele verschiedene Organisationen im Vergleich.
Fazit
Überlegen Sie kritisch, welche Teile einer Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz Sie intern vergeben können und ob Sie Tätigkeiten auslagern sollten. Beide Vorgehensweisen haben ihre Vorteile!
Links:
- Österreichisches ArbeitnehmerInnenschutzgesetz
- Offizielle Informationen des Zentral-Arbeitsinspektorats
- YouTube-Playlist zu Psychischen Belastungen
- Fragebogen BASA II
- Online-Fragebogen BASA II
- Gruppendiskussion ABS-Gruppe
- Beobachtungsinterview SGA
- Kursübersicht der AUVA
- Leerformular „Maßnahmenblatt psychischer Belastungen“ zur Dokumentation
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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