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EU-Initiative zur psychischen Gesundheit am Bau. Die Abschluss-konferenz.

Welche psychischen Belastungen gibt es in der Bau-Branche? Welche Ansätze gibt es in Europa um die psychische Gesundheit am Bau verbessern? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigten sich ExpertInnen aus 7 Europäischen Ländern. Veronika Jakl vertrat Österreich bei der Abschlusskonferenz in Brüssel.

Das EU-Projekt "Mental Health in Construction Work" lief von November 2017 bis März 2019. Organisiert von den Verbänden FIEC und EFBWW. Finanziert von der Europäischen Kommission.

47 VertreterInnen von ArbeitgeberVerbänden, Gewerkschaften und Präventionseinrichtungen sprachen über die verschiedenen Aspekte und Ansätze rund um psychosoziale Risiken in der Bau-Wirtschaft. Neben der Vorstellung der Projektberichte und eines Leitfadens für Stakeholder, stand vor allem eine Frage im Raum: Was können wir jetzt WIRKLICH tun um das fachliche Wissen für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen?

Noch sind der Report und der Guide nicht öffentlich zugänglich, aber bei Interesse gerne schon ein Mail schicken an: veronika.jakl[at]apjakl.at ! Die Unterlagen werden dann so bald wie möglich zugeschickt.

Fokus von Rolf Gehring, Generalsekretär der EFBWW (Europ. Bau-Holz-Gewerkschaft)

Die vielen verschiedenen Themengebiete rund um psychische Gesundheit und psychosoziale Risiken, aber auch die verschiedenen Herangehensweisen in den Ländern machten das Projekt schwierig. Aber es wurde dann der Fokus auf das gelegt, was wir verändern können, die Arbeitsbedingungen, v.a. die Arbeitsorganisation. Damit verändern und gestalten wir die Arbeit. Wir fokussieren uns nicht auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen und psychische Gesundheit des Einzelnen. Der Arbeitgeber ist nicht verantwortlich für das ganze Leben von Beschäftigten. Aber für einen wichtigen Teil im Leben!

 

Arbeitgeber-Sichtweise von Domenico Campogrande der FIEC (Europ. Bauwirtschaftskammer)

Es war zu Beginn des Projekts kein Enthusiasmus von Seiten der Arbeitgeber, aber jetzt war es doch sehr gute Kooperation zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Vertretungen. Die Ergebnisse sollen ein Überblick liefern, was in den verschiedenen Ländern in der Baubranche los ist. Es gibt hier viele Initiativen, aber doch wenig bauspezifisch. Der erstellte Guide soll den Unternehmen helfen um das Thema bauspezifisch anzugehen. Das ist die Ausgangslage für die Zukunft und es bedarf hier weiterer Schritte für eine Implementierung.

 

Zahlen von Stefan Olsson (Generaldirektor für Beschäftigung, Soziales und Inklusion der Europäischen Kommission)

Er zeigt sich beeindruckt von der Projektarbeit. Es ist ein sehr wichtiges, aber komplexes Thema. Daher sind solche Initiativen mutig und der richtige Ansatz um das Thema spezifisch genug anzugehen. Psychosoziale Risiken sind das größte Thema in der Prävention, das wir akuell haben! Die Hälfte aller ArbeitnehmerInnen sind Stress ausgesetzt und 4 von 10 denken, dass hier nicht genug getan wird. Wir sind dem jeden Tag ausgesetzt, egal in welcher Rolle wir sind!

Die Hälfte aller Absenzen ist verbunden mit Stress und diese sind dann sehr lange. Das ist eine Abwärtsspirale, weil dann die anderen verbleibenden Beschäftigten noch mehr Stress spüren. Auch gibt es eine 5-fach höhere Unfallrate in einer stressigen Arbeitsumgebung!

Natürlich sind die Statistiken schwierig zu erheben, aber jeder kann sich wohl im Arbeitalltag wiederfinden. Und die Beschäftigung mit dem Thema zahlt sich daher aus. Ignorieren des Themas ist keine Option. Keine Option für das Business, keine Option für die Würde der Arbeiter.

 

Claudia Marinetti, Direktorin von Mental Health Europe

Im ersten fachlichen Input gab es eine Übersicht über „Occupational Mental Health – knowledge and approaches“.

Aus arbeitspsychologischer Sicht war es schön, dass auch wissenschaftliche Erkenntnisse und Modelle wie Siegrist's Effort-Reward-Balance-Model erwähnt wurden!

 

Wortmeldungen der Ländervertretungen

Mónica Valdeolmillos von der spanischen Gewerkschaft CCOO stellte fest, dass Stress an sich keine Krankheit ist, aber zu Krankheit führt. Und es sei daher wichtig zu verstehen, woher die Krankheiten kommen, wie sie entstehen und dann zu den Ursachen des Risikos vorzudringen wie den langen Arbeitstagen.

Gerd Albracht, von der internationalen Arbeitsinspektions-Vereinigung IALI, gab auch den wichtigen Punk zu bedenken, dass vor allem Umstrukturierungen, die nicht sauber organisiert sind, zu großen Schwierigkeiten führen. Er rief dabei die 20 Selbstmorde nach der Fusion von dem französischen Mobilfunkanbieter Orange ins kollektive Gedächtnis.

Casper Poulsen aus Dänemark gab zu bedenken, dass die Kulturunterschiede sehr groß sind, wenn es darum geht über Prävention und Verbesserungsvorschläge zu sprechen. In Dänemark sei man hier sehr offen, aber das gelte nicht für Gesamteuropa.

Jean-Marc Candille aus Frankreich (FNCB-CFDT) berichtete, dass viele Firmen den Fehler von sich weisen und die Ursachen lieber im privaten Umfeld suchen. Er gibt auch zu bedenken, dass viele Manager nicht optimal für solche Gespräche aufgestellt sind. Hier ist anzumerken, dass hier wohl wieder Ursachen (psychosoziale Risiken) und Wirkungen (Stress-Gefühle) vermischt wurden.

 

Was hat sich verändert am Bau? Eine Diskussionsrunde

Martin Sonnberger von der Baufirma PORR sagt in seinem Eingangsstatement klar, dass die Bautätigkeit ist gleich geblieben ist. Es gibt immer noch Bagger, LKWs und Schalungen. Aber die Rahmenbedingungen unter denen gearbeitet wird, haben sich verändert: Lange Vorbemerkungen in Verträgen, große komplexe Ausschreibungen, viele Gesetze und protestierende Anrainer.

Aktuell hat auch die Digitalisierung schon Auswirkungen wie viele Mails mit langen Anhängen. Aber es liest niemand mehr alle Informationen. Aber es wird erwartet, weil man so schnell die Verantwortung auf dem Empfänger schieben kann. Wir sollten gemeinsam lernen wieder sorgsam mit dem Informationswahn umzugehen und uns auf das wichtigste zu konzentrieren.

Wir haben auch das Problem, dass die Baubranche so unterschiedlich ist. Personen, die nahe dem Arbeitsplatz wohnen, für die passen 8h-16h-Arbeitszeit-Lösungen. Aber Personen, die fernab der Heimat arbeiten, die wollen nicht ab 16h im Quartier sitzen. Es braucht also verschiedenen Herangehensweisen.

Bernd Merz von der deutschen Berufsgenossenschaft Bau berichtet von den verschiedenen Sprachen und Kulturen aus der Baustelle. Auch gibt es das Problem der Vielzahl von Ein-Personen-Unternehmen. Das bedeutet viel Koordination für die Bauherren. Auch haben diese Solo-Selbstständigen keine vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung. Das ist auch mehr Stress für die Aufsichtspersonen.

Weiters spricht er über die Vor- und Nachteile von BIM (Building Information Modelling): Automatisch generierte Gefährdungsbeurteilungen <=> Gefahr, dass diese Plattformen wie schon "Uber" zu Präkariat führen. Darauf muss sich auch der Unfallversicherungsträger einstellen, weil sie mit den anderen Firmen zusammenarbeiten und für diese Gefahren produzieren. 

Hanne Sanders von der belgischen Gewerkschaft AC ABVV meint, dass es wirtschaftlich betrachtet heute besser sei, aber es gibt auch immer kürzere Fristen um Baustellen abzuschließen und pausenlosen Druck.  Baustellenleiter werden immer mehr zum Aufpasser unter Dauerstress und sind weniger Vermittler. Daher gibt es immer mehr Konflikte unter Beschäftigten.

Enrique Corral, Autor des spanischen Berichts, unterstreicht den vermehrten Druck von Kunden und das die Digitalisierung einen Scheideweg bringen wird. Leider zieht er den Vergleich zu muskuloskeletalen Erkrankungen und dass hier klare Berechnungen der Kosten möglich seien. Dies sei bei psychische Belastungen nicht der Fall, weil man Beruf und Privatleben nicht trennen können. Jedoch vergisst er, dass auch die Auswirkungen von privatem Fitness-Studio-Besuch und einer genetischen Veranlagung zu Übergewicht auch bei ergonomischen Themen ja vernachlässigt werden! Also auch hier wieder eine Vermischung von psychosozialen Risiken und Auswirkungen.

 

Report und Guide - Die Projektergebnisse

Laura Mesa Lopez stellte die wissenschaftlichen Reports aus den verschiedenen Ländern vor.

Martin Sonnberger von der Firma PORR stellte den Guide für die Arbeitgeber vor und unterstrich mit vielen praktischen Beispielen eine praktische und pragmatische Herangehensweise.

Auch Domenico Campogrande vom Arbeitgeberverband FIEC meinte, dass man es nicht übervereinheitlichen darf. Aber es geht darum mit kleinen Dingen zu starten wie zum Beispiel mit einem gemeinsamen Kaffee in der Früh. Dann wird nicht nur über das Wetter gesprochen, sondern auch über Arbeitsorganisation. Es ist ein komplexes Thema, aber auch kleine Schritte sind wichtig.

 

Was kann man nun umsetzen? Eine Diskussionsrunde mit Veronika Jakl

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde in einer Podiumsdiskussion darüber gesprochen, welche konkrete Schritte nun folgen sollten.

Den Weg, den wir in Österreich schon gegangen sind, kann man nur empfehlen: eine gemeinsame Sprache finden für Arbeitgeber und Gewerkschaften. Psychische Arbeitsbedingungen (Belastungen) dürfen nicht mit psychischer Gesundheit oder Stress verwechselt werden. Nur so ist die Verantwortungsübernahme durch die Arbeitgeber möglich.

Ich unterstrich, dass ich vor allem von Kleinst- und Kleinbetrieben erwarte, dass sie professionelle Methoden einsetzen. Auch Begleitung durch ExpertInnen ist machbar und leistbar, wie beispielsweise durch kurze Beobachtungsinterviews. Auch dürfen Firmen nicht externe Faktoren als "unveränderlich" wahrnehmen. Beispielsweise kurze Bau-Fristen sind Ergebnisse von Verhandlungen und nicht "gottgegeben". Wenn man als Firma wirklich nichts an der Ursache ändern kann wie bei aggressiven Fußgängern, dann sind die Manager in der Pflicht angemessen zu reagieren und ihrem Team Rückhalt zu geben.

Alle Beteiligten waren sich einig, dass dieses Projekt ein großartiger Start sei, aber für die Implementierung in den einzelnen Firmen noch Schritte folgen müssen.

Noch sind der Report und der Guide nicht öffentlich zugänglich, aber bei Interesse gerne schon ein Mail schicken an: veronika.jakl[at]apjakl.at ! Die Unterlagen werden dann so bald wie möglich zugeschickt.

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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