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Die Kraft von digitalen Technologien im ArbeitnehmerInnen-Schutz. Die HILTI-Konferenz 2019.

Welche Chancen und Risiken bringt die Digitalisierung auf Baustellen? Welche Veränderungen ergeben sich für das Sicherheits- und Gesundheits-Management? Welche psychologischen Aspekte sind beim Change zu beachten? 

Diese Fragen wurden im April 2019 in Stuttgart, Deutschland, von ExpertInnen diskutiert. Eingeladen waren 50 HSE/OSH-Manager aus der internationalen Baubranche durch den Baumaschinen-Hersteller HILTI. Ein vollgepackter Konferenztag startete mit einem Überblick über die Digitalisierungstechnologien, Trends in der Baubranche und Unfallstatistiken.

 

Spannende Vorträge 

Prof. Andrew Sharman bot in einer unterhaltsamen Präsentation ("We are not robots") einen Rundumschlag gegen die Befürchtung, dass die Roboter den Menschen ersetzen werden.

Die Forscherin Kajsa Simu zeigte welche Möglichkeiten es heute schon gibt, wenn die Technologien (WLAN, Geofencing, Apps mit künstlicher Intelligenz, Zugangskontrollen, IoT auf Maschinen, ...) sinnvoll miteinander verknüpft werden. Das war beeindruckend, aber aus psychologischer Sicht auch manchmal erschreckend (Stichwort: Überwachung der ArbeiterInnen).

Colin Williams von IBM zeigte, die man mit dem Internet of Things die Arbeitssicherheit verbessern kann. Er hat dazu leider auch einen persönlichen Zugang, da sein bester Freund durch einen Arbeitsunfall am Bau gelähmt ist. Schon jetzt können Kleidungsstücke und Schutzausrüstung mit Sensoren ausgestattet werden um auch Biomarker wie Schweiß, Herzschlag, Gehirnaktivität oder auch die Körperhaltung laufend zu überwachen. Auch dieser Vortrag zeigte, dass hier Entwickler sehr bedacht mit den Möglichkeiten umgehen müssen und die Zugangsbeschränkungen zu den Daten transparent sein müssen. Sonst ist das Vertrauen der Beschäftigten bald weg.

 

Digitalisierung aus psychologischer Sicht - Veronika Jakl

Mein Vortrag beleuchtete die Digitalisierung aus psychologischer Sicht. Im EU-Projekt "Psychosoziale Risiken am Bau" sprachen die ExpertInnen von vielen verschiedenen Aspekten: Verschwommene Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben durch Handys, 3D-Beton-Druck, GPS-Überwachung von Mensch und Maschine, höhere Qualifikationsanforderungen, das papierlose Büro oder auch die Verantwortung von ProgrammiererInnen.

 

Viele Stressfaktoren

Es gibt viele Aspekte von digitalem Stress wie Dauerpräsenz der digitalen Technologien, Job-Unsicherheit, Unzuverlässigkeit von IT und Überflutung durch Technologien. 

Aspects of digtal stress

Diese Faktoren stehen in Zusammenhang mit der Work-Life-Balance, emotionaler Erschöpfung und körperlichen Beschwerden!

Seit den 1990er Jahren ist auch eine Beschleunigung des Lebens feststellbar durch die ständigen Änderungen der Technologien, einer schneller Informationskultur, der Anforderung des lebenslangen Lernens und eines erhöhten Zeitdrucks. Auch im Bauwesen wird oft geklagt, dass Auftraggeber die Fertigstellungsdaten schon vor der Erstellung des Bauzeitplans veröffentlichen und die Gesellschaft keine lang andauernden Straßenbaustellen mehr akzeptiert. Dieser Zeitdruck führt zu Unachtsamkeit, schlechten Entscheidungen und damit zu vermehrten Unfällen.

 

Hoffnungsvolle Chancen

Die positiven Aspekte der Digitalisierung liegen in einem schnelleren Zugang zu Informationen, was Unternehmen flacher werden lässt. Führungskräfte auf den Zwischenebenen werden nicht mehr für die Verteilung von Informationen benötigt und mehr Eigenständigkeit der Bauarbeiter ist möglich!

Positive aspects of digitalisation in construction

 

Zusammenarbeit von Mensch und Maschinen

Niemand kann genau vorhersagen, welchen Stellenwert intelligente Maschinen und Roboter in Zukunft einnehmen werden. Im Idealfall nehmen sie uns Menschen die schädigenden und stressigen Aufgaben ab. Dann können wir uns auf Innovationen, kreative Lösungen und wertvolle Aufgaben fokussieren. Im schlimmsten Fall sind die Maschinen nicht auf den Menschen zugeschnitten, können nicht kontrolliert werden und wir sind deren billige Hilfsarbeiter.

Questions regarding Usability of robots and smart machines

In der Entwicklung von intelligenten Maschinen muss auf jeden Fall auf Bedienbarkeit ("Usability") und die Akzeptanz der Beschäftigten geachtet werden. Dann können unter anderem Exoskelette dabei helfen die alternde Belegschaft länger im Job zu halten.

 

Viele Bedenken

MitarbeiterInnen haben viele Bedenken, wenn es um die digitale Zukunft geht: Ändern sich meine gewohnten Arbeitsabläufe? Schaffe ich die neuen Aufgaben? Bin ich dann ersetzbar? Werde ich meinen Job verlieren?

Alle diese Themen müssen von den Führungskräften bedacht werden, wenn sie die Belegschaft mitnehmen und motiviert halten wollen. Aber auch neue Arbeitsformen könnten durch Building-information-modelling (BIM) ermöglicht werden, wie es Plattformen wie Foodora oder Uber in anderen Branchen schon gezeigt haben. Scheinselbstständige könnten dann über Bau-Plattformen für sehr fragmentierte Aufgaben gebucht werden, welche dann unter Zeitdruck, ohne kollegiale Unterstützung, mit unsicherem Einkommen und keiner Verantwortung für Arbeitssicherheit durchgeführt werden. Das wäre eine Katastrophe für die eh schon sehr harte und für viele unattraktive Baubranche.

 

Arbeitssicherheit in der digitalen Welt

E-Learning und Online-Unterweisungen mit Web-Plattformen sind in vielen Unternehmen bereits üblich. Neue Arbeitsprozesse können auch durch Virtual Reality oder Augmented Reality erlernt werden, wie ich es bereits selbst erleben durfte. Dabei gibt es 5 Dimensionen des digitalen Lernens zu beachten:

Wie bekommen die ArbeitInnen Zugang zum Wissen? Können sie die Unterlagen lesen? Ist der Inhalt realistisch oder nur ein Comic? Können die User selbst aktiv werden oder ist es ein langweiliges Video? Wird diese Form der Unterweisung angenommen?

Dokumentation von Arbeitsschutz-Verletzungen können oftmals jetzt schon digital in einer APP abgespeichert und mit den Verantwortlichen geteilt werden. Auch zeigten mit TeilnehmerInnen aus Israel deren App, wo die Führungskräfte live sehen, welche Beschäftigten sich auf welcher Baustelle befinden, welche Unterweisungen diese erfolgreich absolviert haben und welche Arbeitsschutzmaßnahmen notwendig sind. Eine künstliche Intelligenz kann dann aus den Daten automatisiert auch die gesetzlich erforderlichen Dokumente erstellen ohne BauleiterInnen damit zu nerven.

Mein Aufruf an alle Sicherheitsfachkräfte und HSE-Manager: Mischt euch ein in die Entwicklung neuer Technologien! Wenn wir Stress vermeiden wollen, sollten wir ganz am Anfang schon mitreden um schlechte Oberfläche oder Abläufe gleich zu verhindern.

 

Was ist beim Change Richtung Digitalisierung zu beachten?

Um fit zu sein für die Zukunft benötigen Firmen Menschen, die offen sind für Innovationen und sich beteiligen wollen. Das hängt nicht vom Alter ab oder von der Qualifikation. Aber eine Bereitschaft zu offenen Kommunikation ist ein Baustein von Erfolg.

Autonomie und Entscheidungsspielraum haben den größten positiven Einfluss auf Kreativität. Wenn dann auch eine Vielfalt von Aufgaben erfüllt werden dürfen und die Kultur dazu anregt neue Lösungen zu finden, bietet das den Grundstein für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte. 

HSE-Manager müssen sich auch trauen mit Projekten zu scheitern, gemeinsam mit der Belegschaft zu lernen und einen ganzheitlichen Blick zu haben auf die Entwicklungen. Nur wenn offen und vertrauensvoll über Bedenken, Schwierigkeiten und Stressfaktoren gesprochen wird, dann ist Verbesserung möglich.

Viele Fragen bleiben offen

In einer intensiven Podiumsdiskussion beteiligten sich alle Vortragenden und auch die TeilnehmerInnen. Online-Voting und ein Wurf-Mikrofon in Form eines Würfels lockerten die Gespräche auf. Es kam unter anderem die Frage auf, weshalb viele Menschen sehr freizügig mit ihren Daten bei großen Internetkonzernen umgehen, aber beim Arbeitgeber so viel Angst vor Überwachung haben. Die psychologische Erklärung liegt hier in der Nähe der Bedrohung. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Rechenzentrum in Kalifornien weiß mit wem ich Mittagessen war oder ob mein Chef immer genau weiß, was ich gerade fühle.

Mein Eindruck der Diskussionen war, dass die meisten HSE/OSH-Manager positiv gestimmt sind und in großen Firmen schon viel entwickelt wird. Eine Strategie wird manchmal hier noch vermisst. Und ich sehe das große Problem der Kompartibilität der Daten auf uns zukommen.

Auch diskutierten wir, dass wir eine gesellschaftliche und politische Strategie benötigen, wenn die westliche Gesellschaft immer älter wird und die Wertschöpfung vor allem durch Maschinen geschieht. Unser aktuelles Sozialsystem in Mitteleuropa ist darauf noch nicht vorbereitet.

 

Kulisse und Rahmen

Das Mercedes-Benz-Museum bot eine inspirierende Kulisse um über Technologien und modernste Entwicklungen nachzudenken. Ein vernetzendes und schönes Rahmenprogramm rundeten die Konferenz ab.

 

Es war mir eine Ehre bei der ersten HILTI-Konferenz mit weiblichen Speakern mitzuwirken! Vielen Dank an das Organisationsteam rund um Katrin Kessler und Peter Cavada!

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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