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Arbeitssicherheit neu gedacht

Manche PräventionsexpertInnen schauen nur auf Unfälle, Krankheiten und Stress. Sie denken an das, was schief läuft. Andere hingegen fokussieren sich auf den normalen Arbeitsalltag, wo ständig Dinge richtig und sicher gemacht werden. Sie suchen nach den Stärken. Was unterscheidet die beiden Ansätze?

Gesetzliche Gefährdungsbeurteilungen

Die vorgeschriebenen Evaluierungen fokussieren sich auf Gefahren, Gefährdungen und Risiken. Es geht darum aufzudecken, was möglicherweise zu einem Unfall oder einer Erkrankungen führen könnte. Selbst wenn die Gefahr gering ist, wird versucht potentielle Risiken zu minimieren.

Wir nennen diese Sichtweise einmal „Arbeitssicherheit 1“. Sie beleuchtet die Ausnahmen, die selten sind. Diese Ausreißer im negativen Sinne haben aber dann große Konsequenzen.

 

Positive Sichtweise

Eine andere Perspektive beleuchtet stark, was alles gut klappt und richtig läuft. Denn in der Regel funktionieren ja die Arbeitsbedingungen zu 95%! Es gibt keine Arbeitsunfälle und es wird niemand krank am Arbeitsplatz. In der Regel werden ja Vorschriften eingehalten, Beinahe-Unfälle durch Mitdenken vermieden und die Beschäftigten gehen gesund wieder nach Hause.

Nennen wir diese Sichtweise „Arbeitssicherheit 2“. Sie beleuchtet alles, was schon gut funktioniert und ist daher sehr positivistisch.

Woher kommt das?

Erik Hollnagel (Universität Jönköping, Dänemark) ist untrennbar mit der Unterscheidung in „Safety I“ und „Safety II“ verbunden.

Er bezeichnet Arbeitssicherheit als „Non-Event“, also als ein „Nicht-Ereignis“. Wenn alles gut läuft, dann fällt es nicht auf und es gibt, gefühlt, nichts, was man untersuchen könnte. Wenn wir hingegen nur auf Arbeitsunfälle schauen und diese genau analysieren, dann legen wir unseren Fokus eigentlich auf Ausnahmen. Wir schauen uns Situationen an, die eigentlich fast nie vorkommen.

Er plädiert daher für den „Safety II“-Ansatz („Arbeitssicherheit 2“), welcher die alltägliche Leistung verstehen möchte. Erik Hollnagel meint, dass man Arbeitssicherheit nur dann verstehen und verbessern kann, wenn man sich die Situationen ansieht, wo Arbeitssicherheit auch gelebt wird!

Ein netter Vergleich: Kann man glückliche Ehen verstehen, wenn man immer nur Scheidungen analysiert? Warum soll man dann Arbeitssicherheit verstehen durch die Analyse von Unfällen?

Seit vielen Jahren höre ich von ihm Vorträge auf internationalen Konferenzen. Viele skeptische, aber auch dankbare Wortmeldungen aus dem Publikum folgen dann oft.

Skeptisch sind diejenigen, die nicht glauben, wie dies in der Praxis funktionieren kann und ob es dafür überhaupt wissenschaftliche Belege gibt.

Dankbar sind die PräventionsexpertInnen, die sich über die positive Perspektive freuen und sich nicht immer nur mit dem Negativen beschäftigen wollen. Sie sehen den Vorteil für die Beratungsarbeit in Organisationen.

Was ist besser?

Ich persönlich glaube nicht, dass es darum geht, welche Sichtweise „Recht“ hat. Für mich sind es ergänzende Ansichten, welche beide für eine erfolgreiche Prävention notwendig sind.

Ein schönes Zitat hier von Hollnagel: „Wir sind so darauf eingestellt, was schief gehen kann, dass wir vergessen, was richtig gelaufen ist!“.

Aber auch Hollnagel schreibt in einem Artikel aus Dezember 2019, dass Analysen von Arbeitsunfällen dennoch wichtig sind. Es geht ja auch um die psychische Aufarbeitung für die Betroffenen und die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften und als Erinnerung, wie hoch der Preis ist, wenn etwas schief geht.

 

P.S.: Die Fotos stammen vom WOS-Kongress 2019 in Wien.

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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