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Plattform Gesundheit im Betrieb: "Psychische Belastungen am Bau"

Die Plattform "Gesundheit im Betrieb" mit über 300 Partner-Organisationen interviewte Veronika Jakl für ihre Mitglieder. Thema war das EU-Projekt "Psychische Belastungen am Bau".

Im Rahmen des EU-Projektes „Mental Health in Construction Work“ wurden die psychischen Belastungen der Baubranche erhoben. Der nationale Bericht von Österreich wurde von Arbeitspsychologie Jakl erstellt. Im Bericht wird der nationale Status Quo übersichtlich präsentiert. Es werden Verfahren zur Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen und ihre Anwendbarkeit in der Baubranche vorgestellt. Ergänzt werden diese Informationen mit Rückmeldungen aus Interviews, die mit diversen ExpertInnen aus der Baubranche und für psychosoziale Gesundheit durchgeführt wurden.

 

 

Sehr geehrte Fr. Mag.a Jakl,

die Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen ist Ihr Kerngeschäft. Sie begleiten Unternehmen in diesem Prozess und haben auch online unterschiedliche Angebote
zu diesem Thema. Die Angebote sind vielfältig. So gibt es: einen kostenlosen Minikurs „Psychische Belastungen“, Checklisten und Leitfäden wie „Überzeugend beraten rund um Arbeitssicherheit und Gesundheit“.
Somit ist es nicht verwunderlich, dass Sie mit der Erstellung des nationalen Berichts zu psychischen Gesundheit am Bau betraut wurden.

 

Wie kam es dazu, dass die EU beim Thema psychische Gesundheit einen Fokus auf die Baubranche gelegt hat?

Die Baubranche ist eine der gefährlichsten Industrien, sowohl in Österreich als auch EU-weit. In den letzten 10 Jahren konnten hier die Todesfälle und Unfälle drastisch reduziert werden. Jedoch verändert sich unsere Arbeitswelt und psychische Belastungen erhalten immer mehr Aufmerksamkeit. Der Zusammenhang zwischen Zeitdruck, Stress und Unfällen liegt beispielsweise klar auf der Hand.

Zusätzlich kann man davon ausgehen, dass die Automatisierung und Digitalisierung in der Baubranche viele Arbeitsplätze in Zukunft stark verändern wird. Daher haben die europäischen Sozialpartner der Baubranche entschieden das Thema psychische Gesundheit proaktiv anzugehen.


Wie wurde die Erhebung durchgeführt? Wer wurde befragt?

Für den österreichischen Bericht haben wir 2 verschiedene Zugänge gewählt:
Zunächst haben wir die Vielzahl an bereits vorhandenen Studien, Gesetzen und Leitfäden analysiert.

Zusätzlich wurden 13 Interviews mit ExpertInnen der Baubranche (z.B. aus der Gewerkschaft, Wirtschaftskammer, Geschäftsführungen, Arbeitsinspektorat) und ExpertInnen für psychische Belastungen (z.B. von der Arbeiterkammer, AUVA) geführt.

Mit welchen Veränderungen war die Baubranche in den letzten Jahren verstärkt konfrontiert und wie wirkt sich das auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten aus?

Wir haben es hier mit unterschiedlichen Veränderungen zu tun:
1. Der Arbeitsmarkt verändert sich durch die Mobilität von europäischen BauarbeiterInnen und die alternde Gesellschaft. Beispielsweise von 2008 bis 2016 gab es einen Anstieg von +31,3% bei Beschäftigten 50+.

2. Die Konjunktur und ein Bauboom (z.B. 2017 in Wien) verändern natürlich die Auftragslage. Und gerade in der Baubranche spüren die Beschäftigten das schnell. Dann kann es schwanken zwischen extremem Zeitdruck im Sommer und Arbeitslosigkeit im Winter. Und gerade der Zeitdruck durch anspruchsvolle KundInnen, die eine Fertigstellung ankündigen, noch bevor die Bauarbeiten beginnen, scheint zuzunehmen. Auch private Auftraggeber scheinen durch TV-Shows wie „Pfusch am Bau“ alarmiert und konsultieren schneller AnwältInnen oder GutachterInnen.

3. Die technischen und technologischen Fortschritte werden von den ExpertInnen sehr unterschiedlich beurteilt und trifft die verschiedenen Arbeitsplätze wohl unterschiedlich. Alles in allem gesehen kann man sagen, dass zwar in den letzten Jahrzehnten viele Verbesserungen passiert sind, aber wir noch weit entfernt sind von flächendeckendem Beton-3D-Druck und Robotern auf Baustellen.

Die Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen ist seit 2013 für jedes Unternehmen verpflichtend. Wie ist es um die Durchführung der Evaluierung psychischer Belastungen in der Braubranche bestellt? Wie viele Unternehmen haben die Evaluierung der arbeitsbedingten psychischen Belastungen bereits vorgenommen?

Das ist sehr schwer zu beantworten. Es gibt hierzu keine offiziellen Statistiken, sondern nur grobe Einschätzungen, die auf Erfahrungen basieren. Aber wir wissen, dass bereits im Jahr 2012 mehr als ein Drittel aller ArbeitsinspektorInnen Wissen im Bereich psychische Belastungen hatte. Und rund um die Gesetzesänderung 2013 kam es auch zu einem starken Anstieg der Inspektionen zu diesem Thema. Beispielsweise 2015 gab es bei 11% Inspektionen (d.h. 7626 Inspektionen) einen Fokus auf psychische Belastungen. In diesem Jahr gaben bei einer Befragung von BetriebsräteInnen 78% der Unternehmen an, dass sie zumindest schon gestartet haben mit dem Thema. Aber Firmen, die einen Betriebsrat haben, sind schon eine positiv ausgewählte Zielgruppe.

Alle ExpertInnen sind sich einig, dass vor allem kleine und mittelgroße Betriebe hier noch säumig sind. Und nachdem 82% aller Baufirmen weniger als 10 Beschäftigte haben, gibt es hier sicherlich Handlungsbedarf!

Was müsste passieren, damit die Evaluierung und die damit verbundenen Maßnahmenumsetzungen konsequenter von den Firmen umgesetzt werden?

Die Arbeiterkammer pocht hier darauf, dass die Arbeitspsychologie verpflichtend für alle Firmen wird als dritte Präventivfachkraft neben der Arbeitsmedizin und den Sicherheitsfachkräften. Die ArbeitsinspektorInnen werden in regelmäßigen Abständen zu dem Thema geschult und können hier auch noch besser beraten als vor 10 Jahren. Und eine offizielle Aufforderung ist für einige der Anstoß sich dann tatsächlich darum zu kümmern.

Es wird auch bei der Entwicklung neuer Messverfahren immer mehr darauf geachtet, dass es nicht nur Fragebögen sind, die von großen Firmen gerne eingesetzt werden, sondern beispielsweise auch Interviewverfahren, die man auch bei 3 Beschäftigten
sehr gut anwenden kann. Das unterstützt auch sehr in der Praxis. Realistischerweise muss man dem Thema auch Zeit geben, dass es irgendwann als selbstverständlich erachtet wird. Die Untersagung von Alkohol auf Baustellen oder das
automatische Aufsetzen von Helmen sind auch nicht von heute auf morgen passiert. Da braucht es Vorreiterfirmen und kontinuierliche Bewusstseinsbildung bei den Führungskräften.

Sie haben im Rahmen der Berichtserstellung verschiedene Interviews mit Unternehmen aus der Baubranche zu diesem Thema geführt. Welche Einflussfaktoren wurden genannt, wenn es um die psychische Gesundheit ging?

Wir haben in der Baubranche die gleichen Faktoren wie in anderen Bereichen: Arbeitsumgebung, Tätigkeitsaspekte, Organisation und Sozialklima.

Aber es gibt einige Spezifika, die die Arbeit auf Baustellen aus psychologischer Sicht
besonders machen:

  • lange Anfahrtswege bzw. Wochenpendeln,
  • körperlich harte Arbeit mit starken Wettereinflüssen,
  • hohe Interaktion mit den KollegInnen bzw. vielen Gewerken auf einer Baustelle,
  • keine Kontinuität (also lange Arbeitstage im Sommer und Arbeitslosigkeit im Winter)
  • ständig wechselnde Arbeitsumgebungen auf die man sich neu einstellen muss
  • oft ein rauer Umgangston inkl. Sprachbarrieren bei internationalen Teams
  • und der bereits erwähnte hohe Zeitdruck durch Auftraggeber.

Welche Tools empfehlen Sie in Ihrem Bericht zur Erhebung der arbeitsbedingten psychischen Belastungen und wo sind diese Tools zu finden?

Wir haben im Bericht die Messverfahren aufgelistet, die auch auf der Sozialpartnerplattform www.eval.at aufgelistet sind: das Beobachtungsinterview SGA, die Gruppendiskussionsmethode ABS-Gruppe, das Verfahren BASA II und den Fragebogen KFZA. Auf der Website finden sich dann auch die Links zu den einzelnen Verfahren.

Welche Vorgehensweise wird empfohlen, um für sein Unternehmen das richtige Tool auszuwählen? Wer führt solche Erhebungen durch? Was sind die Rückmeldungen zu den Tools aus der Praxis?

Ich empfehle zuerst eine genaue Analyse zu machen, welche Arbeitsplätze in der Organisation vorhanden sind, bevor man sich für ein oder mehrere Verfahren entscheidet. Wenn man nur Beschäftigte hat, die nicht gut lesen und schreiben können,
braucht man eine komplett andere Herangehensweise als wenn ich die Büroangestellten in einem Baukonzern evaluierte. Vor allem Interviews und Gruppendiskussionen werden gerne bei KMUs verwendet.

Die Erhebung sollte jemand durchführen, der dafür ausgebildet ist. ArbeitspsychologInnen werden im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz dafür explizit erwähnt. Die Firmen, die ich betreue, sind am Ende oft sehr positiv überrascht, wie viele Informationen sie durch die Evaluierung erhalten. Viele Beschäftigte sind am Anfang skeptisch und unsicher, wie anonym so eine Evaluierung abläuft. Oft höre ich auch Aussagen wie: „Ich bin ja nicht krank. Ich brauch keine Therapie.“ Aber wenn ich dann aufkläre,
dass es um Arbeitsbedingungen geht und dass das Ziel ist, dass sie stressfreier arbeiten können, dann werden das sehr offene und ehrliche Gespräche.

Welche Maßnahmen wurden aus den Unternehmen rückgemeldet, um den Belastungen adäquat zu begegnen?

Je nach Tätigkeit gibt es sehr individuell gut passende Maßnahmen. In einer Firma gab es Unklarheiten der ArbeiterInnen hinsichtlich der Zuständigkeiten von Führungskräften und dem Büropersonal. Also wurde im Baucontainer für alle sichtbar ein Organigramm aufgehängt mit den AnsprechpartnerInnen, ihren Verantwortlichkeiten und den Kontaktdaten.

Auch kenne ich den Fall, dass die Beschäftigten nur die Beschwerden von AuftraggeberInnen mitbekommen haben und dadurch Eindruck hatten, dass so vieles schief läuft. Also haben wir ein Feedback-System entwickelt, wo die Key Account ManagerInnen
auch das ganze Lob an die Mannschaft weitergeben konnte! Die waren dann natürlich sehr stolz auf ihre Arbeit.

Was hält Unternehmen davon ab, sich um das Thema „Psychische Belastungen“ zu kümmern?

Das kann unterschiedlichste Gründe haben. In vielen Firmen, vor allem in der Baubranche, kommt das Tagesgeschäft natürlich vor den langfristig wichtigen Projekten. Aber wenn es im Jahresverlauf gut geplant ist, kann man beispielsweise die Zeit der
Winterschulungen oder ruhigere Frühjahreszeiten nutzen für die Evaluierung psychischer Belastungen.

Und ein Dreh- und Angelpunkt sind einfach die Führungskräfte: Wenn die nicht davon überzeugt sind, dass psychische Belastungen normal, aber veränderbar sind, dann wird das Thema natürlich nicht behandelt.

Herzlichen Dank für das informative Interview!
Das Interview führte Sandra Pipoh

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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