Psych. Belastungen - Was tun nach Befragung?
Was soll ich am besten tun, wenn die Befragung abgeschlossen ist? In welcher Reihenfolge mache ich die Ergebnisrückmeldung? Und wie gehe ich vor, dass die Führungskraft nicht Reaktanz und eine Abwehrhaltung zeigt?
In der Podcast-Episode 161 geht es um die richtige Vorgehensweise bei einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Denn als Arbeitspsychologin ist die Evaluierung bzw. Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen mein Hauptgeschäft. Dementsprechend bekomme ich in der Online-Akademie "Pioniere der Prävention" bei den Stammtischen immer wieder Fachfragen dazu gestellt und ich bilde auch z.B. Arbeitsmediziner:innen zu dem Thema aus.
Und eine Frage, die mir da sehr häufig gestellt wird, beantworte ich in dieser Podcast-Folge:
Wie mache ich die Ergebnis-Rückmeldung nach einer Befragung? Wie gehe ich das organisatorisch an? Also: Wer bekommt wann die Ergebnisse? Und wie mache ich das inhaltlich so, dass die angesprochenen Führungskräfte nicht in Abwehrhaltung gehen, wenn sie kritisiert werden?
Ich zeige Ihnen, was sie beachten sollten und wo die typischen Stolperfallen liegen, in die ich am Anfang auch reingetreten bin, damit Sie diese Fehler nicht machen brauchen.
Solche Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen mache ich seit 2013. Da habe ich auch schon sehr viele große Befragungen geleitet, bis zu mehreren Tausend Beschäftigten an Standorten über ganz Österreich und Deutschland verteilt.
Die Struktur ist da ganz, ganz wichtig! Nicht: "OK, machen wir mal eine Befragung und nachher überlegen wir uns, was wir mit den Ergebnissen machen." Es ist wirklich wichtig, dass das vorher geklärt ist, die Vorgehensweise klar ist. Unabhängig von den konkreten statistischen Ergebnissen. Inhalt und Struktur sind getrennt voneinander zu betrachten.
Und deswegen ist es wichtig, klug vorzugehen. Denn unsere Ziele sind:
- Die Geschäftsführung und die Führungskräfte sollen natürlich die Ergebnisse kennen.
- Wenn eine Führungskraft Feedback bekommt, v.a. wenn sie negatives Feedback bekommt, soll sie sich nicht angegriffen fühlen, nicht in Widerstand gegen das ganze Projekt gehen oder sich gar vorgeführt vorkommen.
- Es muss klar sein, wer die Maßnahmenentwicklung - Brainstorming und konkrete Vorschläge – macht.
- Die Geschäftsführung und die Führungskräfte sollen sich für die Maßnahmenumsetzung verantwortlich fühlen.
- Sonst kann man sich sicher sein, dass die Befragung umsonst war und nichts damit passiert! Und das ist der Worst Case, weil dann bei der nächsten Befragung keiner mehr mitmacht.
Beispiel
Denken wir das Thema einmal durch anhand eines konkreten Beispiels eines Produktionsunternehmens (ein Firmenkunde von mir), mit ca. 220 Beschäftigten von Büro, über Lager bis zu diversen Produktionsbereichen und Hierarchieebenen, mit 15 verschiedenen Tätigkeitsgruppen. Es gab eine Online-Befragung, die über 2 Wochen lief. Der Rücklauf war in Ordnung. Ich hatte dann auch schon die Ergebnisse ausgewertet mit Berichten für jede Tätigkeitsgruppe und einem Gesamtbericht über die ganze Firma.
Wie gehen wir jetzt weiter vor? Was würden Sie vorschlagen?
Machen wir Beispiele:
Option A) Gleich mal Workshops ausmachen für die einzelnen Gruppen, wo viele Fehlbelastungen / rote Bereiche sind, weil aufgrund von Befragungsergebnissen allein kann man ja keine Vorschläge machen, welche Maßnahmen man setzen kann.
Option B) Ergebnispräsentation vor der Geschäftsführung machen und dann dieser die Aufgabe geben, sich um passende Maßnahmen zu kümmern, weil diese ist schließlich verantwortlich für den Laden.
Option C) Termine mit den einzelnen Abteilungsleitungen und diesen die Ergebnisse rückmelden, damit sie sich dann in ihren jeweiligen Abteilungen um Maßnahmen kümmern.
Jede Vorgehensweise hat ihren Charme und ihre Vorteile. Ich persönlich mache gerne eine Mischung:
- Rückmeldung der Ergebnisse im Überblick an die Steuerungsgruppe mit Geschäftsführung. Das sind die Auftraggeber, sie wollen als erstes informiert werden und einen Überblick bekommen, was rausgekommen ist.
- Dann werden die Mitarbeiter:innen und die Führungskräfte grundlegend informiert über Rücklauf, allgemeine Ergebnisse, generelle Tendenzen von Ressourcen und Fehlbelastungen. Da wird aber nicht über Details von einzelnen Abteilungen geredet und niemand vorgeführt.
- Dann wird die Maßnahmenentwicklung top-down angegangen, d.h. zuerst einen Workshop mit den Führungskräften/Abteilungsleitungen, danach gibt es die Ergebnisbesprechung und Fixierung der Maßnahmen mit der Geschäftsführung, dann gibt’s die Workshops mit den einzelnen Abteilungen und danach jeweils Ergebnisbesprechungen mit den zuständigen Führungskräften/Abteilungsleitungen. Warum? Weil die Führungskräfte sollen zuerst spüren, wie es ist, Teilnehmer:in zu sein und wie die Endergebnisse zustande kommen. Und ich will natürlich auch die Belastungen von Führungskräften ernst nehmen. Das hilft bei Sympathie und Verständnis für den Prozess.
Spezialtipp:
Die Termine für Workshops und Nachbesprechungen kann man sogar schon vor der Befragung ausmachen! Denn diese laufen ziemlich unabhängig von den Ergebnissen ab. Sollte dann tatsächlich eine Gruppe nur "grün" sein und nur positive Arbeitsbedingungen haben in der Befragung, dann kann man den Workshop absagen und alle sind glücklich.
Das 2. große Thema:
Wie kann man vorgehen, damit Führungskräfte nicht in Widerstand gehen bei negativem Feedback?
Im Feedbackgespräch nach dem Workshop habe ich mehrere Dinge vorliegen:
Die Befragungsergebnisse der schriftlichen Befragung und – hoffentlich – die Interpretationen und Ideen aus dem Workshop selbst.
Bei dem Feedbackgespräch gibt es auch einiges zu beachten, damit man hier nicht in die Reaktanz kommt bei den Führungskräften:
Wer nimmt überhaupt teil an diesem Feedbackgespräch?
Teilnehmer:innen sind: Ich als externe Arbeitspsychologin, die Führungskraft und 1 Person aus dem Workshop
Dieses Feedbackgespräch findet nicht vor großer Runde mit Betriebsrat, der Geschäftsführung & Co statt. Denn so würde sich die Führungskraft schnell in eine Ecke gedrängt fühlen. Da muss man vorsichtig sein. Die Runde ist am besten so klein wie möglich und so groß wie notwendig zu halten.
Diesen Termin mache ich auch schon fix aus gleich nach dem Workshoptermin. D.h., wenn ich weiß, dass der Workshop am 22. stattfindet, dann mache ich in der Regel 1 Woche später einen Termin für die Nachbesprechung aus.
Es gibt bei mir keine Workshops ohne Feedbackgespräch mit der direkten Führungskraft oder den direkten Führungskräften.
Ich erkläre zuerst immer, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind:
- Rücklauf bei der Befragung (z.B. 70 %) und Kernergebnisse
- Ablauf des Workshops
- Dass jede:r Teilnehmer:in ein Veto-Recht hatte bei der Dokumentation und dass die vorliegenden Ergebnisse nun von allen Teilnehmenden so abgesegnet wurden in genau der Formulierung (das habe ich mir ja nicht ausgedacht).
- Ich lese die Workshop-Dokumentation vor (so wortwörtlich wie möglich). Dann bin ich die Überbringerin der schlechten Nachrichten und nicht die Mitarbeiter:innen.
- In Beschreibungen wird viel auch mit Konjunktiven und subjektiven Sichtweisen gearbeitet. Nicht "Die AL gibt nur negatives Feedback und lobt nie", sondern "Die MA erhalten zeitnah Feedback bei Fehlern durch die AL. Positives Feedback wird selten ausgesprochen. Wunsch: Regelmäßiges Ansprechen von Dingen, die gut laufen".
- Dass diese Dokumentation nur ein Entwurf ist und auch sie, die Führungskraft, ein Veto-Recht hat und wir nun gemeinsam die finale Dokumentation machen, bevor diese an die Steuerungsgruppe und die Geschäftsführung geht. Die Führungskraft und ihre Sichtweise ist mir genauso wichtig wie die Beschäftigten und deren Sichtweise. D.h. ich habe ausgedruckte Unterlagen vor mir und dann wird die Dokumentation sichtbar verändert, um die Sichtweisen der Führungskraft, um ihre Ideen, … aufzunehmen oder auch etwas zu streichen oder zu verändern. So dass die Führungskraft merkt, dass sie Einfluss nehmen kann.
- Auch die Führungskraft darf nochmal drüber schlafen und mir innerhalb von 1 Woche Feedback schicken per Mail zum Dokument nach der Besprechung.
Ziel:
Den Selbstwert der Führungskraft zu erhalten, weil diese sonst entweder die Ergebnisse oder uns als Expert:innen anzweifeln. Deshalb: Selbstwertschonend umgehen.
Optional, wenn man weiß, dass eine Führungskraft schlecht mit negativem Feedback umgehen kann:
Die Befragungsergebnisse können schon vorher 1:1 durchbesprochen werden VOR dem Workshop (besprechen, wie die Ergebnisse interpretiert werden können und welche Infos man hier NICHT rauslesen kann).
Achtung:
Nur, wenn man sicher sein kann, dass die Führungskraft das Gespräch konstruktiv nutzt und nicht dann vor der Abteilung auszuckt.
Wenn diese Gefahr besteht, dann warte ich lieber zuerst den Workshop ab. Weil dann habe ich nämlich die schriftlichen Befragungsergebnisse noch ergänzt um die Interpretation und auch schon Vorschläge der Beschäftigten. Und so kann ich hier noch einmal konstruktiver damit arbeiten.
Was ich manchmal auch schon gemacht habe beim Feedbackgespräch nach einem Workshop:
Dass ich Gespräch zuerst in einer 3er-Konstellation gemacht habe: Ich, Führungskraft und 1 Mitarbeiter:in als Gruppenvertretung. Und dann werden 1 Stunde lang die Workshop-Ergebnisse durchgesprochen und danach schicke ich die Gruppenvertretung raus und mache noch 1 Stunde lang ein 1:1 Coaching mit der Führungskraft zu den Themen, wo diese dann eventuell offener sagen kann, was sie sich zu den Ergebnissen denkt.
Und wenn alle Workshops und Nachbesprechungen abgeschlossen sind, dann geht es wieder zurück zu Steuerungsgruppe und Geschäftsführung. Dann bekommen diese das Feedback zu Metathemen und häufigen Themen.
Wenn es ein sehr großes Projekt ist (ca. mehr als 20 verschiedene Gruppen), dann zieht sich das natürlich über einen längeren Zeitraum. Und da mache ich so ein Feedbackgespräch an die Steuerungsgruppe und die Geschäftsführung jedes Quartal.
Wenn Dich das Thema GBUPsyche mehr interessiert und Du auch Mitglied bist in der Online-Akademie, dann schau Dir gerne den Kurs "Gefährdungsbeurteilung/Evaluierung psychischer Belastungen" an.
Dieser Kurs wird mit 2 VÖSI-Punkten, 1 VDSI-Punkt für Arbeitsschutz und 2 VDSI-Punkten für Gesundheitsschutz anerkannt. Gemäß Fortbildungsreglement der SGAS zählt die Teilnahme an dieser Fortbildung 2 FBE.
Da gibt's alle Infos zum Thema Ermittlung von psychischen Belastungen, Projektmarketing, damit auch viele mitmachen inkl. Vorlagen für Plakate, E-Mails und Co. Es gibt Hilfe, wie man die Ergebnisse interpretieren kann, wie man Maßnahmen gut entwickeln kann. Und es ist sogar eine Kalkulationshilfe für Selbstständige dabei, die das anbieten wollen.
Wenn Sie Fragen haben rund um psychische Belastungen, dann probieren Sie auch gerne mal den neuen Chatbot aus: https://pionierederpraevention.com/chatbot . Dieser kennt alle Podcast-Episoden auswendig und gibt Ihnen gerne Antworten auf Ihre Fragen zum Thema psychische Belastungen und hilfreiche Gesprächsführung!
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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