Das denkt ihr über Präventionskultur!
Ich habe mich auf einen Shitstorm vorbereitet und auf unterstützende Meinungen gehofft ;)
In der Podcast-Episode 93 sprechen wir über Präventionskultur. Manche sagen, das ist schon ein Modewort geworden in der betrieblichen Prävention. Vor 3 Wochen habe ich deshalb provokant die Frage gestellt: Wird Präventionskultur überschätzt? In dieser Episode gibt es jetzt EURE Antworten darauf!
Auf meine Frage habe ich viele Nachrichten von Podcast-HörerInnen bekommen mit deren Einschätzungen zum Thema, über LinkedIn, per E-Mail, als Videos und als Sprachnachrichten. Ich freue mich, diese präsentieren zu dürfen. Denn nur so können wir uns in der betrieblichen Prävention weiterentwickeln: Wenn wir uns kritisch mit Themen auseinandersetzen, diese von vielen Seiten beleuchten und uns mit anderen dazu austauschen. Am besten über die Landesgrenzen und die Branchen hinweg! So machen wir das auch in der Online-Akademie "Pioniere der Prävention" ständig.
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Sollten Sie die Podcast-Episode 90 "Wird Präventionskultur überschätzt?" vor 3 Wochen noch nicht gehört haben, würde ich empfehlen: Jetzt noch nachholen oder nach dieser Episode hören.
Kurzfassung der Episode 90:
Ich habe erzählt, was Präventionskultur überhaupt ist, warum jede Organisation sowas hat, welche Ausprägungen es gibt von Präventionskultur (also auch welche 3 verschiedenen Arten von Modellen es gibt), welche wissenschaftlich überprüft sind und wie unser Denken über Präventionskultur unsere Beratung beeinflusst.
Uwe Schüttler hat die letzte Episode gehört und dazu auf LinkedIn geschrieben:
"Liebe Veronika Jakl ,
Eine sehr fundierte Darstellung der Präventionskultur und gleichzeitig bietet der Podcast genügend Raum, wo sich Befürworter und eher kritisch eingestellte Personen wiederfinden können. Herzlichen Dank für den interessanten Podcast."
Auch beim Stammtisch letzte Woche in der Akademie habe ich Lob bekommen, weil ich in dieser Folge auch gezeigt habe, dass die BradleyKurve nur eins von vielen Modellen ist und man sich damit kritisch auseinander setzen kann und sollte.
Ich freue mich wirklich, dass die Folge so gut ankam!
Nun geht's um die Reaktionen und es gibt einen bunten Blumenstrauß an Ansichten rund um das Thema Präventionskultur!
Denn ich habe dazu aufgerufen, dass Sie mir sagen, was Sie von dem Thema halten:
- Ist es in Ihrer Präventionsarbeit relevant?
- Oder ist das für Sie nur ein Modewort ohne Fundierung, das in der Realität für Führungskräfte keine Rolle spielt?
- Versuchen Sie bewusst die Kultur in Firmen zu verändern? Und wenn ja: Wie?
Und ich freue mich sehr, dass viele Leute sich die Zeit genommen haben und spannende Antworten eingeschickt haben!
Die Grundsatzfrage ist:
Was ist überhaupt Präventionskultur?
In der Episode 90 habe ich ja erzählt, dass Präventionskultur ein Teil von Organisationskultur ist und darunter kann man z.B. auch noch Sicherheitskultur sehen.
Ludwig Koschutnig, innerbetrieblicher Safety Manager hat mir dazu geschrieben:
"Kultur ist ja das "gemeinsame Verhalten" zu einem gewissen Thema. Hier eben zu Prävention.
Und in der Sicherheit ist es wie mit der Gesundheit - so wirklich auffällig ist die Sache nur, wenn es irgendwo weh tut.
Also sollte es immer auch zum Thema gemacht werden - da können wir gar nicht genug tun."
Sylvia Birska meint hingegen, dass wir den Begriff in Betrieben vielleicht gar nicht verwenden sollten. Hören Sie sich Ihre Nachricht in der Podcast-Episode 93 an.
In der Podcast-Episode vor 3 Wochen habe ich ja auch in den Raum gestellt, dass der Begriff der Präventionskultur gerade sehr gehypt wird.
Renate Mayer meint dazu folgendes:
"Hallo, ich bin Renate Mayer und ich beschäftige mich mit Präventionskultur bereits seit 2014 und die letzten drei Jahre besonders intensiv. Mir fällt schon auf im Diskurs, dass das Thema häufiger benannt wird als früher, dass es explizit als Thema angesprochen wird. Ich glaube aber gleichzeitig, dass wir uns im Prinzip immer schon mit dem Thema beschäftigt haben, wenn wir wissen wollten, was wir denn noch alles tun können, um weiter Unfälle und Berufskrankheiten zu reduzieren. So haben wir uns immer schon mit dem Thema Kommunikation, mit dem Thema Führung, mit anderen Themen, die präventionskulturtypisch sind, wie z.B. eine Lern- und Fehlerkultur, damit haben wir uns eigentlich immer schon beschäftigt.
Ich finde auch, dass es dem Thema nicht schadet, dass man da jetzt sozusagen den Scheinwerfer drauf richtet, denn dadurch wird es bewusster reflektiert und kann noch bewusster gestaltet werden."
Also Renate sieht nur Vorteile, wenn Präventionskultur aktuell ein wichtiges Thema ist und wir uns damit mehr befassen.
Der Schweizer Kollege Andreas Meier, stellt mir dazu eine spannende Gegenfrage: "Gibt es eine Nicht-Präventionskultur?". Hören Sie sich seine Sicht in der Folge an. Denn da bin ich auch ganz dabei: Wenn das Wort Präventionskultur nur ein Hype in einer Organisation ist, und sich diese nur damit am Papier schmückt, aber im Arbeitsalltag nicht danach gehandelt wird, dann ist das mehr als fragwürdig und schlecht für die Glaubwürdigkeit!
Um das Thema Kultur noch von einer anderen Seite zu beleuchten, habe ich auch Prof. Christoph Bördlein gebeten uns seine Sicht dazu mitzugeben. Denn er ist ja für Behavior-based safety bekannt, also verhaltensbasierte Arbeitssicherheit. Und VerhaltenswissenschaftlerInnen sagt man doch eher nach, dass sie mit Kultur nichts anfangen können. Was meint Prof. Bördlein nun zu dem Begriff der Präventionskultur? Hören Sie rein in die Folge. Hier nur so viel: Auch Prof. Bördlein meint, dass wir Kultur runterbrechen sollten auf konkrete Verhaltensweisen. Und Renate Mayer hat ja vorhin auch gemeint, dass man bei Präventionskultur eben auch an Kommunikation, Führung, Lern- und Fehlerkultur denken sollte.
Das führt uns zur nächsten großen Frage:
Woran bemerkt man Präventionskultur?
Luitgard Holzleg, Medizinerin und Erste-Hilfe-Trainerin schrieb dazu auf LinkedIn:
"Sagen wir mal so: es SOLLTE Präventionskultur geben. Zum Einen um Unfälle zu verhindern (und das ist bei konsequenter Durchführung sehr gut messbar: Unfallstatistiken, "near misses" dokumentieren, etc.).
In Hochrisiko Arbeitsplätzen wird das schon lange gemacht.
In Niedrigrisiko Arbeitsplätzen sträflich vernachlässigt.
Was die Präventionskultur Gesundheitsbezogen betrifft, verlangt das mehr, als nur ein paar Workshops anzubieten. Die Einstellung im Team und in der Führung ist ausschlaggebend. Und wenn auch "Erfolge" nicht so schnell und einfach messbar sind, wie Unfälle, so reflektieren steigende Loyalität, sinkender Krankenstand, sinkender Mitarbeiterwechsel das Wohlbefinden von Mitarbeitern in einer Kultur der Anerkennung, des Respektierens der Bedürfnisse von Mitarbeitern und der ernst gemeinten Gesundheitsförderung."
Hier sieht man die Komplexität, wenn man versucht "erfolgreiche" Präventionskultur zu messen. Macht man das an harten Kennzahlen wie Unfällen fest, an sinkenden Krankenständen oder wenig Fluktuation?
Das Problem, das wir hier haben, ist, dass ja nicht nur Präventionskultur hier ein Einflussfaktor ist, sondern auch banale Sachen wie Gehalt oder die Arbeitstätigkeit.
Renate Mayer hat dazu auch eine spannende Meinung, woran man Präventionskultur erkennen kann. Hören Sie sich diese gerne an! Denn das finde ich einen sehr wichtigen Gedanken, dass man sich nicht nur anschaut, was getan wird, sondern eben auch, was NICHT getan wird!
Aber bleiben wir mal dabei, was getan wird. Widmen wir uns der Frage:
Wie können wir Präventionskultur fördern, weiterentwickeln?
Ludwig Koschutnig hat dazu geschrieben (via Videoask):
"Wenn wir also Sicherheitskultur leben wollen, dann benötigen wir immer wieder kleine Gedankenanstöße und auch Diskussionen. Davon lebt Kultur.
Nur wer über Sicherheit spricht stellt auch sicher dass es Thema bleibt."
Also viel drüber reden, diskutieren und damit die Kultur prägen. Das ist sicherlich wichtig. Gleichzeitig geht's aber auch um die andere Seite, nämlich das Handeln.
Thomas Dohmen, Sicherheitsingenieur, Prozessingenieur hat dazu auf LinkedIn geschrieben:
"Ein Teil der Präventionskultur ist auch Kollegen für die Themen zu inspirieren und die Verhaltensweisen vorzuleben. Als klassisches Beispiel fallen mir hier das Tragen von PSA oder das Benutzen von Handläufen ein."
Auch Helmut Lansbergen hat dazu auf LinkedIn gemeint:
"Als wir im Alter von 5 Jahren lernten, dass wir vor das, wir die Straße überquerten, zuerst links, dann rechts und dann wieder links schauen mussten, ist uns der Anfang vom präventivem Sicherheitsdenken mitgegeben worden. Und ich glaube nicht dass solche Anweisungen als Schwachsinn zu betrachten sind. Erfahrungsgemäß."
Ich fasse also zusammen: Kultur können wir prägen indem wir einerseits die Aspekte immer wieder zum Thema machen und andererseits indem wir Vorgaben machen und uns selbst auch daran halten.
Ich würde da auch noch hinzufügen, dass Kultur ja etwas ist, das sich über Jahre und Jahrzehnte entwickelt und viel auch von Stakeholdern und betriebsinternen Influencern getragen wird. Also von Menschen, die sozial einen großen Einfluss haben auf andere wie die Geschäftsführung, langjährige Beschäftigte, Betriebsrat usw.
Wir haben vorhin ja auch schon kurz über Behavior-based safety gesprochen. Das ist ja ein Ansatz, der versucht Arbeitssicherheit zu steigern. Und damit ist dies ja auch kulturverändernd.
Prof. Christoph Bördlein erklärt den Unterschied zwischen BBS-Ansatz und vielen anderen Ansätzen beim Verändern von Kultur:
"Der Unterschied vielleicht zwischen dem Ansatz, dem BBS-getragenen Ansatz und vielen anderen, die das Wort von der Kultur, Sicherheitskultur, Präventionkultur usw. im Munde führen, ist, dass bei BBS sehr klar ist, was damit gemeint ist. Das heisst, wir wollen, dass z.B. Mitarbeiter häufiger über Vorkommnisse berichten, und wenn wir das dann definieren als ein Verhalten, können wir nachschauen, was wären denn Möglichkeiten, um das zu fördern? Und wie kann man es Menschen leichter machen, Berichte abzugeben über Vorkommnisse und wie kann man sicherstellen, dass sie auch etwas davon haben, dass sie merken, sie sind wirksam mit diesen Meldungen, und insofern haben wir ein Mittel, um Kultur zu verändern. Wir müssen den Begriff Kultur nicht unbedingt verwenden, aber er ist gut, auf jeden Fall. Also sprich, es gibt auf jeden Fall etwas zu verändern und zu verbessern."
Also ähnlich wie Sylvia Birska, die ja auch meinte, dass man den Begriff der Präventionskultur nicht unbedingt verwenden muss, v.a. wenn es in einer Firma noch gar kein Thema ist.
In der Podcast-Episode 90 habe ich ja auch in den Raum gestellt:
Ist Präventionskultur bei kleineren Firmen vielleicht einfach zu viel des Guten?
Uwe Schüttler hat mir dazu auf LinkedIn geschrieben:
"Ich glaube auch, dass die Präventionskultur eher für eine größere "Ansammlung" von Menschen bei der Arbeit relevant ist. Ich gehe jedoch dabei nicht zwingend nur von den Problemen aus, sondern eher von den Verbesserungspotentialen. Diese sind in größeren Unternehmen eher relevant als bei kleineren Unternehmen.
Nichtsdestotrotz können auch dort brauchbare Potentiale liegen, insbesondere wenn man nicht nur von Sicherheits-/Präventionskultur spricht, sondern damit gleichzeitig die Führungs-, Organisations- oder Unternehmenskultur beeinflusst wird.
Somit kann der Arbeits- und Gesundheitsschutz auch in kleinen Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Unternehmensentwicklung liefern."
Und auch Ludwig Koschutnig hat mir geschrieben:
"Das Bewusstsein zu Sicherheit/Gesundheit zu fördern, zu fordern und zu stärken ist ein Grundgedanke der Prävention.
Für mich also eine unverzichtbare Sache.
Auch für Kleinunternehmen, denn wenn wir die Sicherheit vernachlässigen ist es mit der Effizienz und Wirtschaftlichkeit auch gleich einmal vorbei.
Einer meiner Lieblingssätze ist: "Sicherheit ist bestimmt nicht alles - aber ohne Sicherheit ist alles nichts." "
Das finde ich einen sehr schönen Gedanken: Prävention als Basis für Organisationsentwicklung und auch Wirtschaftlichkeit! Damit schließt sich der Kreis und wir sind wieder am Anfang, nämlich wie eng Präventionskultur und Organisationskultur zusammenhängen!
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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