HRweb: Stress am Arbeitsplatz – Was hilft Firmen langfristig?
In allen Organisationen gibt es Arbeitsbedingungen, die Stress verursachen. Meistens wird das hingenommen, auch wenn das Produktivität und Motivation kostet. Immer wieder gibt es Gesundheitsprogramme, Yoga im Betrieb oder Entspannungskurse. Aber was hilft wirklich gegen Stress?
Für den einzelnen Arbeitnehmer ist es sehr wohl wichtig, die eigenen Stressverarbeitungsmechanismen zu kennen und positiv einzusetzen. Für eine Organisation ist dies jedoch nur bedingt hilfreich. Durch Fluktuation geht dann das Wissen wieder verloren und Unternehmen müssten jeden neuen Mitarbeiter wieder in seiner Stressverarbeitung schulen. Daher sollten Unternehmen in erster Linie auf organisatorische, kollektive Maßnahmen setzen. Wird Arbeit passend gestaltet und die Organisation grundlegend gut organisiert, so hilft dies langfristig.
Eine Maßnahme gegen Stress ist dann besonders effektiv, wenn sie nicht nur den aktuell Betroffenen nützt, sondern auch gleich zukünftigen Arbeitnehmern.
Zusammenhang zwischen stressigen Arbeitsbedingungen und Gesundheit
Es gibt beispielsweise einen wissenschaftlich bestätigten Zusammenhang für hohe Arbeitsintensität und psychische Erkrankungen (wie Depressionen, Angst- oder Zwangsstörungen)2. Auch gibt es den Zusammenhang von vermehrten Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei einem Ungleichgewicht zwischen Belohnung und der geforderten Verausgabung.2 Wenn also von einem Mitarbeiter mehr verlangt wird als er in Form von Anerkennung, Lob oder anderer Belohnung wieder bekommt, wird er eher krank werden.
Es macht keinen Sinn zu warten, bis bei einem Mitarbeiter eine solche Erkrankung auftritt. Ziel sollte eine Primär- oder Sekundärprävention sein, also ein Einschreiten vor Beginn oder im Frühstadium von negativen Auswirkungen.
Es ist auch nicht hilfreich, dann die Gründe nur im Privatbereich der Mitarbeiter zu suchen, weil dies wissenschaftlich nicht gedeckt ist und der Arbeitgeber hier auch keine Veränderung herbeiführen kann.
Führungskräfte bilden die Basis gegen Stress
Hilfreicher als einzelne Gesundheitsaktionen für alle Mitarbeiter ist daher präventive, strukturierte Führungskräfteentwicklung. Wenn Vorgesetzte wissen, wie man Arbeitsabläufe und Tätigkeiten menschengerecht und psychisch gesund gestaltet, hilft das gleichzeitig vielenGibt es Projekte, wo zu viel Zeitdruck herrscht?
- Werden die Mitarbeiter regelmäßig durch das Telefon oder eine E-Mail-Flut unterbrochen?
- Wie wird in der Abteilung mit Fehlern umgegangen?
- Wissen die Mitarbeiter immer, was zuerst zu tun ist oder müssen sie regelmäßig beim Chef nachfragen?
- Können die Mitarbeiter regelmäßig etwas Neues lernen oder sich weiterentwicklen?
- Können die Mitarbeiter selbst entscheiden, wie und wann sie ihre Aufgaben erledigen können oder ist alles fix vorgegeben?
Vorgesetzte sollten das reflektieren und aktiv optimieren können.
Gesetzlicher Rahmen
Rechtlich ist hier auf das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz1 (ASchG)1 zu verweisen. Im Paragraph 7 wird erörtert, wie grundsätzlich gegen psychische Belastungen (Stressfaktoren) vorzugehen ist.
§ 7. Arbeitgeber haben bei der Gestaltung der […] Arbeitsvorgänge […] sowie bei allen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer folgende allgemeine Grundsätze der Gefahrenverhütung umzusetzen: […]
3. Gefahrenbekämpfung an der Quelle;
4. Berücksichtigung des Faktors „Mensch“ bei der Arbeit […] vor allem im Hinblick auf eine Erleichterung bei eintöniger Arbeit und bei maschinenbestimmtem Arbeitsrhythmus […] ;
4a. Berücksichtigung der Gestaltung der Arbeitsaufgaben und Art der Tätigkeiten, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation; […]
8. Vorrang des kollektiven Gefahrenschutzes vor individuellem Gefahrenschutz; […]
Was bedeutet dies nun für die Praxis?
Was kann man tun? Beispiel für Arbeitsgestaltung
Wir befinden uns im Kundenservice einer Dienstleistungsfirma.
Viele der Callcenter-Mitarbeiter sind täglich damit beschäftigt, sich die Beschwerden der Kunden anzuhören. Meistens geht es darum, dass die Kunden nicht bereit sind die Abschlussrechnung zu bezahlen. Sie feilschen um Prozente, meinen, dass die Abrechnung zu hoch ist und sind oft unhöflich. Vor allem Stammkunden wollen überdurchschnittlich oft mit den Vorgesetzten reden, meinen die Callcenter-Mitarbeiter. Sie haben die Vermutung, dass ihre Vorgesetzten ihnen in den Rücken fallen und den Kunden schnell nachgeben. Die Mitarbeiter haben daher das Gefühl, dass sie es eh niemandem Recht machen können und sind frustriert.
Was kann man gegen diesen Stress tun?
Man könnte natürlich Entspannungstraining für die Callcenter-Mitarbeiter anbieten, die gestresst sind. Man könnte ihnen beibringen am Telefon noch freundlicher zu sein.
All das würde aber das Problem an sich nicht lösen.
Die Firma entschied sich daher für einen anderen Weg. Es gab mehrere Besprechungen zwischen dem Callcenter-Team und den Juristen. Dabei wurden neue, verständlichere Geschäftsbedingungen ausgearbeitet, um den Kunden vorab die Kosten klarer zu kommunizieren. Es wurden dabei direkt die häufigsten Kritikpunkte der Kunden vorweggenommen.
Zusätzlich wurde ein transparentes Rabatt-System erarbeitet mit welchem für alle Hierarchieebenen klar wurde, wer welche Nachlässe unter welchen Umständen geben darf. Dadurch wurde das Gefühl der Callcenter-Mitarbeiter verringert, dass ihnen die eigenen Führungskräfte ein Messer in den Rücken jagen und sich von den Kunden um den Finger wickeln lassen.
Es ist empfehlenswert zunächst verhältnisorientierte Maßnahmen zu treffen (hinsichtlich der Arbeitsbedingungen) und dann ergänzend verhaltensorientierte Maßnahmen (hinsichtlich der einzelnen Personen).
Actionplan
Viele Arbeitgeber geben zwar an, grundsätzlich zu wissen, wie man Zeitdruck verhindern oder den Umgang mit schwierigen Kunden verbessern kann, haben aber keinen Actionplan dafür.3
Sprechen Sie daher im Unternehmen das Thema aktiv an. Entwickeln Sie gemeinsam mit den Mitarbeitern einen Plan, um stressige Arbeitsbedingungen zu verringern und sich gegenseitig Feedback zu geben.
Als Führungskraft haben Sie auch eine starke Vorbildfunktion! Nutzen Sie diese, um MitarbeiterInnen zu zeigen, wie man Stressfaktoren ausschaltet und dadurch produktiver wird.
Links:
- ArbeitnehmerInnenschutzgesetz in geltender Fassung
- Rau, R. (2015). iga.Report 31. Risikobereiche für psychische Belastungen.
- Die europäische Unternehmenserhebung über neue und aufkommende Risiken (ESENER). Daten der ESENER-2-Befragung
Artikel von Veronika Jakl für www.hrweb.at
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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