Menu

Magazin WIENERIN: "Arbeitszeit ist in Kurzarbeit geringer - psychische Belastung nicht."

Im Home Office lässt sich Berufliches und Privates schlecht trennen, gleichzeitig arbeiten in Kurzarbeit viele so wenig wie nie zuvor – zumindest auf dem Papier. Was macht das mit unserer Psyche? Veronika Jakl wurde vom Magazin WIENERIN interviewt über Burnout, Zukunftsängste und Unsicherheiten.

Es ist ja ein altes Vorurteil: Im Home Office hackeln alle viel weniger und tun Däumchen drehen. Und überhaupt sei das Arbeiten von Zuhause so schwierig zu implementieren und kontrollieren, suderten so manche Chef*innen. Arbeitspsycholog*innen, Expert*innen und Therapeut*innen predigten das Gegenteil. Dann kam Corona, damit das verpflichtende Home Office und die Erkenntnis: Oha, es wird ja eh von Zuhause aus auch ganz fleißig gearbeitet. Mehr sogar, wie etwa eine Studie der Universität Stanford zeigt: Um bis zu 13 Prozent soll das Arbeitspensum im Home Office steigen. Was macht das mit unserer psychischen Gesundheit? Und vor allem: Wie geht's nach Corona weiter?

Frau Jakl, werden wir nach Home Office und Kurzarbeit wieder problemlos in den Vollzeit-Bürojob zurückkehren können?

Arbeitspsychologin Mag. Veronika Jakl: Ich bin davon überzeugt, dass die aktuelle Situation, wodurch Home Office mehr oder weniger verpflichtend wurde, die Digitalisierung extrem beschleunigt hat und noch weiter beschleunigen wird. Home Office wird auf jeden Fall deutlich zunehmen. Man sieht aktuell auch schon in Studien, dass Leute, die vorher kein Home Office hatten, sich das für die Zukunft nun gut vorstellen können.

Auch Führungskräfte waren meiner Erfahrung nach vor Corona skeptisch gegenüber Home Office - was das Führen von Teams und Kontrollieren der Arbeit angeht. Auch die haben auch in den letzten Wochen gesehen, dass das gut möglich ist - selbst unter diesen ganz, ganz schwierigen Bedingungen der Isolation, wo etwa auch Kinder ständig zu Hause sind. In den nächsten Jahren wird es natürlich wieder Möglichkeiten zur Kinderbetreuung geben und dann wird Home Office noch sehr viel leichter möglich.

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es in den letzten Wochen auch Schwierigkeiten gab. Dennoch denke ich, dass die Vorteile gesehen wurden und werden, sprich: die bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf, die wegfallenden Transportzeiten.
 

Ein Nachteil ist hingegen, dass man Zuhause Berufliches und Privates schwieriger trennen kann. Was macht das mit der Psyche?

Das Risiko des Überarbeitens ist im Home Office höher, ja. Leider. Wir sehen in der psychologischen Forschung, dass Erholung im Home Office langfristig deutlich schwieriger ist. Das Abschalten ist schwieriger, weil man die Arbeit quasi ständig vor sich liegen hat. Viele haben daheim kein abgetrenntes Arbeitszimmer. Es ist deshalb auch nicht empfehlenswert, dauerhaft von Zuhause aus zu arbeiten. Durch Home Office steigt zudem auch die Einsamkeit – selbst unter normalen Bedingungen und nicht nur aufgrund der Corona-Isolation.

Aktuell fällt mir bei vielen Firmen auch auf, dass die normalen Arbeitszeiten nicht mehr üblich sind – gerade mit der Schwierigkeit der Kinderbetreuung im Moment. Viele Eltern arbeiten in der Nacht oder am Wochenende, wenn die Kinder schlafen – die Arbeitszeiten verschieben sich. Ich habe auch schon mitbekommen, wenn die Führungskraft Kinder hat und dadurch erst am Abend oder Wochenende Sachen abarbeitet und Mails verschickt, dass die Mitarbeiter*innen das Gefühl bekommen, es würde von ihnen auch erwartet. Über solche Erwartungen von Erreichbarkeiten muss unbedingt gesprochen werden, sonst wird’s eine Negativ-Spirale.


 
"Die Arbeitszeit ist in Kurzarbeit geringer. Die psychischen Belastungen sind es aber nicht zwingend. Der scheinbare Erholungseffekt wird zum Teil von Unsicherheiten und Zukunftsängsten aufgefressen."
(Veronika Jakl)

Stichwort: Erwartungen. Die Zukunftsängste und Unsicherheiten sind aktuell groß, viele wollen sich umso mehr beweisen – auch in der Zeit nach Corona. Rechnen Sie mit einem Anstieg der Burnouts?

Nein. Burnout ist an sich eine sehr komplexe Krankheit, bei der viele Faktoren eine Rolle spielen. Ich rechne eher damit, dass bei denjenigen im Gesundheitssystem oder Einzelhandel, die aufgrund der erhöhten Arbeitsbelastung aktuell besonders gefährdet sind, die Erkrankungen ansteigen.

Das heißt nicht, dass es nicht in anderen Branchen auch belastend sein kann. Es macht etwas mit uns, wenn man von heute auf morgen in Kurzarbeit geschickt wird. Die Arbeitsplatzunsicherheit kann sehr hoch sein und es kommen ähnliche Gefühle wie bei Arbeitslosigkeit hoch. Von diesen Gefühlen wissen wir aus der Forschung, dass sie sich enorm auf die psychische und auch körperliche Gesundheit auswirken.

Die Arbeitszeit ist in Kurzarbeit geringer. Die psychischen Belastungen sind es aber nicht zwingend. Der scheinbare Erholungseffekt wird zum Teil von Unsicherheiten und Zukunftsängsten aufgefressen.

Gleichzeitig wird mittlerweile häufig von "der neuen Normalität" gesprochen? Haben wir uns an die Unsicherheiten gewöhnt? Wie wird der Weg zurück an den Arbeitsplatz?
Es gibt sicherlich einen Gewöhnungseffekt – ob jetzt in der Kurzarbeit oder auch bei jenen, die lange im Home Office waren. Es wird auch zu Konflikten kommen, wenn es im Büro dann wieder Vollzeit losgeht. Grundsätzlich kann man aus psychologischer Sicht davon ausgehen, dass man sich nach ungefähr sechs Wochen ganz gut an neue Situationen gewöhnt und einen Rhythmus gefunden hat.

Mittlerweile sind wir schon über diesen sechs Wochen, das heißt, man kann davon ausgehen, dass die Rück-Umstellung sicherlich auch wieder eine Zeit lang brauchen wird und man es nicht mehr gewohnt ist, so viel oder mit so vielen Menschen zu arbeiten. Für die Teams wird das bestimmt eine Herausforderung.

Möglicherweise erwartet uns eine zweite, vielleicht sogar dritte Welle. Beginnt dann alles wieder von vorne – oder sollten Arbeitgeber*innen bei der zweiten Welle anders vorgehen?

Dazu gibt es keine generelle Antwort. Nur so viel: Für Arbeitnehmer*innen ist wichtig, dass es einen Plan gibt. Dass Mitarbeiter*innen das Gefühl haben: Okay, das kann also passieren, aber es wird kontrolliert ablaufen.

Das ist ähnlich wie aktuell bei den Schüler*innen, die jetzt für eine sehr kurze Zeit vor den Sommerferien wieder in die Schule gehen müssen. Ich denke aber, dass diese – wenn auch sehr kurze – Phase psychologisch gesehen einen positiven Effekt hat, damit man zeigt: Das Leben geht weiter, es gibt einen Plan und daraus können wir Kraft schöpfen.

Originalartikel bei WIENERIN

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

back to top