Ist „perfekt“ auch gut? Perfektionismus im Job
Sind Sie auch perfektionistisch veranlagt? Sind Sie insgeheim auch stolz darauf? Hier erfahren Sie, welche Auswirkungen diese Persönlichkeit im Arbeitsleben hat!
Jeder von uns kennt Perfektionisten. Sie wollen alles fehlerfrei erledigen, machen mehr als verlangt und arbeiten lieber eine Nacht durch als die Ziele nicht zu erfüllen.
Ja, ich gebe es zu. Auch ich bin leide daran, perfektionistisch zu sein. Mich ärgern meine eigenen Fehler mehr als die von anderen. Wenn ich mir ein Projekt oder eine Aufgabe vornehme will ich diese zu 100% erfüllen. Mit einem Ergebnis, welches nur den Minimalanforderungen genügt („minimum viable product“), kann ich nicht leben.
Es gibt psychologische Untersuchungen, dass der Perfektionismus in den letzten 3 Jahrzehnten auch zugenommen hat.
An welchen Perfektionisten denken Sie denn gerade?
Einmal perfektionistisch, immer perfektionistisch?
Was steckt eigentlich hinter der Persönlichkeitseigenschaft des Perfektionismus? Personen, die hier hohe Werte aufweisen, streben nach absoluter Fehlerlosigkeit. Sie sind eher inflexibel und unnachgiebig, wenn es um ihr hohes Anforderungslevel geht. Ihre eigenen Leistungen bewerten sie nach einem Schwarz-Weiß-Denken: Alles oder nichts. Fehlerlos oder Totalversagen. Selbst in Situationen, in denen es von außen nicht notwendig erscheint, wirkt der Perfektionismus zwanghaft.
Wenn Perfektionisten ihre Ziele erreichen, dann verspüren sie weniger Befriedigung, sondern eher Erleichterung, dass sie nicht versagt haben und setzen sich das nächste Mal vielleicht sogar noch höhere Ziele. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Selbstwert.
Wichtig: Wie genau und wie deutlich sich der Perfektionismus zeigt hängt auch von der Situation ab. Im Arbeitsleben ist diese Eigenschaft eher zu beobachten als im Privatleben, weil im Job häufiger Situationen mit Leistungsbeurteilung und Zielerreichung vorkommen.
2 Arten von Perfektionismus
Die psychologische Forschung unterteilt hier in 2 Formen:
- Streben nach Exzellenz
- Vermeiden von Versagen
Variante 1:
Personen, die nach Perfektion und Exzellenz streben, wollen den höchsten Ansprüchen genügen. Sie setzen diese Ziele bei sich an und haben einen geminderten Selbstwert, wenn sie diese Standards nicht erreichen.
Variante 2:
Auf der anderen Seite gibt es Personen, die unter allen Umständen es vermeiden wollen zu versagen und den Ansprüchen von anderen Menschen nicht zu genügen. Sie glauben, dass andere Leute an sie die höchsten Erwartungen stellen. Und hier diese vermeintlichen, vielleicht gar nicht existenten, Ansprüche nicht zu erreichen, mindert ihren Selbstwert.
Personen können nun in einer der beiden oder sogar in beiden Kategorien hohe Werte aufweisen. Aber beide Varianten haben unterschiedliche Auswirkungen im Arbeitsalltag.
Auswirkungen im Job: Zusammenhang mit Leistung und Burnout
Bei Einstellungsgesprächen wird ja, leider, oft nach der Selbsteinschätzung zur größten Schwäche gefragt. Eine beliebte Antwort hier lautet: „Ich bin perfektionistisch“. Bewerber gehen davon aus, dass dies eine „Schwäche“ ist, die Arbeitgeber gerne sehen, weil sie gleichzeitig von Engagement und hoher Leistung zeigt. Aber ist das tatsächlich so? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser Persönlichkeitseigenschaft und dem Output im Job? Und können positive Aspekte die negativen Auswirkungen überbieten? Wäre es sogar sinnvoll, bewusst Perfektionisten einzustellen?
Personen, die nach Exzellenz streben, wiesen einen hohen Zusammenhang mit Engagement, Motivation und einem hohen Pflichtbewusstsein auf. Gleichzeitig gibt es einen einen mittelhohen Zusammenhang mit Stress, Angst und Arbeitssucht. Und das kann zu geringer Zufriedenheit führen!
Personen, die es unter allen Umständen vermeiden zu versagen, weisen hingegen einen sehr hohen Zusammenhang auf mit Burnout, Stress, Angst und Depression. Gleichzeitig zeigen sie auch ein geringeres Level an Pflichtbewusstsein und Engagement!
Spannenderweise weist keine Form des Perfektionismus einen Zusammenhang mit guter Leistung im Job auf! Perfektionistisch zu sein allein reicht also nicht aus um auch erfolgreich zu sein. Aber es schadet auch nicht der Leistung per se.
Tipp für Führungskräfte und PersonalerInnen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Perfektionismus im Job eher schadet, weil es zu Stress, Angst und geringerer Arbeitszufriedenheit führen kann. Dies kann nicht durch höhere Leistungen ersetzt werden.
Führungskräfte sollten stattdessen eher darauf achten, ob sich MitarbeiterInnen über die Zeit verändern. Denn erhöhter Perfektionismus kann auf ein drohendes Burnout hindeuten! Burnout verläuft in 12 Stufen, wobei in den ersten beiden Stufen Verhalten gezeigt wird, welches für den Arbeitgeber eigentlich Vorteile bringt: Zwang, sich zu beweisen und dann verstärkter Einsatz.
Diese Perfektionismus-ähnlichen Anzeichen sollte man als ManagerIn und TeamleiterIn kennen und im Auge behalten. Wenn sich Menschen hier verändern, ist Vorsicht geboten und nicht Freude angesagt! Es kann langfristig mehr schaden als nutzen.
Tipp für Perfektionisten
Wenn Sie sich selbst in den Beschreibungen wiedererkannt haben, versuchen Sie bei der nächsten Aufgabe bewusst darauf zu achten, welche Anforderungen tatsächlich von außen an Sie gestellt werden. Fragen Sie im Zweifel nach, was bis wann notwendig ist.
Wenn Sie selbst immer nach Perfektion streben, dann durchbrechen Sie das Muster einmal bewusst und schauen Sie, ob die Welt nachher immer noch steht. Was könnte Ihr erster, kleiner Schritt sein um ein bisschen weniger perfektionistisch und zwanghaft pedantisch zu sein? Gehen Sie einen Schritt zu mehr Effizienz und langfristigem Erfolg!
Quellenangabe / Wissenschaftlicher Artikel:
Harari, D., Swider, B. W., Steed, L. B., & Breidenthal, A. P. (2018). Is Perfect Good? A Meta-Analysis of Perfectionism in the Workplace. Journal of Applied Psychology, 103(10), 1121-1124.
Der Original-Artikel erschien auf www.hrweb.at .
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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