Das zentrale Gleichgewicht im Berufsleben
Ehrlich gesagt wissen wir in der Psychologie sehr wenig sicher. Viele Theorien werden aufgestellt. Aber viele halten der Forschung und wiederholten Experimenten nicht Stand. Aber dieses Modell ist bewiesen und unzählige Male überprüft: Das Modell der Gratifikationskrise.
Lesen Sie hier alles zur zentralen Balance in Ihrem Job – und vielleicht in Ihrem Leben!
Woran machen Sie fest, ob ein Job für Sie gut oder demotivierend ist? Was ist für Sie ausschlaggebend?
In meinem Berufsleben hatte ich schon unzählige Jobs: Ich war Post austragen, habe Judo-Kindertrainings geleitet, habe Events organisiert und habe mit arbeitslosen Jugendlichen Perspektiven erarbeitet. Es gab immer Dinge, die Freude gemacht habe und mühsame Seiten. Aber was wirklich zählte war die „End-Abrechnung“.
Habe ich das Gefühl, dass ich mich mehr anstrenge als die „Belohnung“, die ich dafür erhalte? Oder bekomme ich so viel zurück wie ich investiert habe?
Was ist eine Gratifikationskrise?
Eines der bekanntesten Modelle stammt von dem Forscher Johannes Siegrist. Es besagt, dass der Mensch im Job immer nach einem Gleichgewicht zwischen Anstrengung und Belohnung strebt. Gerät diese Balance ins Wanken, dann kommt es zu einer Gratifikationskrise. Wenn Beschäftigte das Gefühl haben, mehr in den Job zu investieren (an Zeit, Leistung, Engagement oder auch Einsatz ihres Wissens) als sie herausbekommen, dann führt das zu Ungleichgewicht und Enttäuschung.
Als „Belohnung“ kann Unterschiedliches angesehen werden: Arbeitsplatzsicherheit, ein faires Gehalt, persönliche Anerkennung oder auch eine spannende Aufgabe. Wenn jedoch nichts davon ausreichend gegeben ist im Vergleich zum Einsatz, dann schadet das der Motivation und der Gesundheit.
Hier ein Zitat eines Mitarbeiters aus einem Konzern: „Ich brauche kein Lob dafür, dass ich meinen Job mache. Aber in dieser Firma dankt es einem niemand, wenn man sich besonders engagiert und motiviert ist. Alles wird für selbstverständlich genommen. Und dann hängt man sich nicht mehr rein, sondern macht eben nur mehr Dienst nach Vorschrift!“
Aber das ist doch total subjektiv!
Absolut!
Es geht in diesem Fall wirklich nicht darum, ob mein/e ChefIn oder meine KollegInnen das Gefühl haben, dass ich fair entlohnt, gelobt oder behandelt werde. Es geht allein um das subjektive Gefühl, dass ich genug bekomme für das was ich leiste. Es kann durchaus sein, dass die Führungskraft das Gefühl hat, die MitarbeiterInnen genug zu loben. Während die MitarbeiterInnen jammern, dass ihr Engagement überhaupt nicht gesehen wird. Das ist sogar leider ziemlich häufig der Fall.
Was als „genug Lob“ oder „genug Engagement“ angesehen wird, ist vollkommen subjektiv.
Welche Folge hat eine fehlende Balance?
Wenn man sich immer nur engagiert im Job, pünktlich kommt, alle Aufgaben überdurchschnittlich schnell erledigt und auch freiwillig die KollegInnen unterstützt, dann will man auch etwas zurückbekommen: ein Danke des Kollegen, ein Schulterklopfen der Chefin, eine kleine Gehaltserhöhung alle paar Jahre oder auch Fortbildungen, die ohne Murren bewilligt werden.
Bei einer negativen Bilanz zwischen Anstrengung und Belohnung leiden vor allem Männer eher an einem erhöhten Blutdruck und haben ein erhöhtes Risiko für Diabetes. Bei Männern und Frauen reduziert sich gleichermaßen die Herzratenvariabilität, was Hinweis auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko sein kann. Auch das Immunsystem wird geschwächt, weil es eine geringere Menge an natürlichen Killerzellen und T-Helferzellen gibt. Weiters steigt die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen, wie Depressionen, emotionale Störungen oder auch Angststörungen.
Noch mehr wissenschaftlich fundierte Informationen erhalten Sie im Buch "Aktiv führen: So schaffen Sie motivierende Arbeitsbedingungen".
Diese Auswirkungen klingen dramatisch. Und sie sind es auch!
Hatten Sie schon einmal einen Job, bei welchem Sie das Gefühl hatten, dass es Ihnen niemand dankt, was Sie alles leisten? Kennen Sie jemanden, der in seinem Job ausgebrannt ist, weil er sich immer reingehängt hat ohne auf sich zu achten? Dann kennen Sie wahrscheinlich auch schlaflose Nächte, Magengeschwüre oder auch die Tränen in den Augen, wenn man an die Arbeit denkt.
Führungskräfte wollen keine hohe Fluktuation, keine langen Krankenstände oder MitarbeiterInnen, die nur „Dienst nach Vorschrift“ machen. Daher sollten Vorgesetzte auf die Balance zwischen Anstrengung und Belohnung achten.
Springen auch Sie über Ihren Schatten und sprechen Sie aktiv Lob aus, wenn Ihre Teammitglieder oder KollegInnen es verdienen. Es könnte große Motivation auslösen und einen Herzinfarkt verhindern.
Zu Risiken und Nebenwirkungen, fragen Sie Ihre Arbeitspsychologin!
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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1 comment
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Sigrid Klufa
Comment Link Donnerstag, 09. Januar 2020 08:54Liebe Frau Jakl,
Vielen Dank für diesen Beitrag - ja dieser Beitrag gibt auch mir wieder einen Energiestoß und werde nicht locker lassen bei der Beratung!
Herzliche Grüße
Sigrid Klufa