Fachkongress Industrie 4.0 - Future Standards Now!
Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Welche Vorteile und welche Gefahren birgt die Industrie 4.0 mit Robotern und autonomen Fahrzeugen für den Menschen? Diese und viele weitere Fragen wurden beim Fachkongress Industrie 4.0 am 14. März 2018 diskutiert! Veronika Jakl war mit dabei.
Vorreiter in Sachen Digitalisierung und Robotik
EVVA-Betriebsleiter DI Michael Kiel bot einen Einblick in die über 100jährige Geschichte von EVVA von der "Erfindungs-Versuchs-und Verwertungsanstalt" bis zum Anbieter für digitale Schließsysteme und Sicherheitstechnologien. Die physischen Schlüssel sind den meisten ÖsterreicherInnen bekannt, aber die Türöffnung mittels App, NFC oder Chipkarte wird als Zukunft gesehen. Nicht nur die Produkte werden digitaler. Auch die EVVA-Produktion wurde automatisiert. 3D-Druck gehört bald mit dazu in enger Kooperation mit dem Fraunhofer Insitut und der TU Wien. Live-Kennzahlen bieten den Mitarbeitern die Basis für beste Entscheidungen und kollaborative Roboter erleichtern viele Arbeitsschritte. DI Kiel sieht jedoch die Sicherung von österreichischen Arbeitsplätzen als Ziel und die feinmotorischen Vorteile des Menschen gegenüber Maschinen. EVVA sieht auch erfreulicherweise Führungsarbeit als zentrales Thema bei ihrer digitalen Entwicklung an!
Rockwell Automation zeigte wie man sich von manuell eingegebenen Excellisten hin entwickelte zu global verfügbaren Echtzeitdaten aus der Produktion, welche für die Prozessoptimierung verwendet werden können. Siegfried Klug (Vertriebsleiter AUT und GER) meinte, dass man das Know-How und die Erfahrung der vorhandenen MitarbeiterInnen nutzen müssen um die Automatisierung zu schaffen. Das Beispiel, wo das feine Gehör eines langjährigen Maschinisten (mit dessen Hilfe!) durch ein Mikrophon und eine Audio-Auswertung ersetzt wurde, lässt jedoch viele psychologische Fragen offen. Bei solchen naiven Vorgehensweisen darf man sich nicht wundern, wenn MitarbeiterInnen skeptisch bleiben und vielleicht sogar die Roboter-Kollegen sabotieren aus Angst vor dem Arbeitsplatzverlust.
Viele weitere Use Cases finden sich unter anderem auf der Österreichischen Plattform Industrie 4.0.
Forschung bietet Grundlagen
Dr. Froschauer von der FH Oberösterreich präsentierte das im September 2017 eröffnete Center for smart manufacturing am Standort Wels. Ein Labor ("Spielplatz") mit Maschinen für Live-Tests von interessierten Unternehmen in welchem unter anderem die Mensch-Maschine-Kollaboration ("Human-Robot-Interaction") ausprobiert werden kann. Es ging in diesem Vortrag sehr viel um das Thema Sicherheit bei der gemeinsamen Arbeit von Menschen und Roboertn. Erst später bei den Diskussionen kamen auch andere psychologische Aspekte wie partizipative Entwicklung und Akzeptanz zur Sprache.
Dr. Froschauer brachte das Beispiel, dass wir langjährigen KollegInnen in der Regel viel mehr vertrauen, obwohl Menschen fehleranfällig sind und Roboter immer die gleichen, einprogrammierten Bewegungen ausführen. Aber vor allem die Kommunikationsbarriere verhindert oft eine gute Zusammenarbeit. Er sieht den Vorteil einer digitalen Fabrik in der Qualitätssteiergung und dem flexibler einsetzbaren Personal weil weniger Schritte angelernt werden müssen.
Standardisierung und Normung = Chance oder Innovationsbremse?
Viele Normungsinstitute und Initiativen beschäftigen sich mit den Rahmenbedingungen für Industrie 4.0. Erfreulicherweise sieht die 3. Ausgabe der Normungsroadmap des Deutschen Standardization Council Industrie 4.0 (Geplante Veröffentlichung im April 2018) den Menschen als ein Fokusthema an!
Es wurde bei der Veranstaltung deutlich, dass auch viele Firmen keinen Durchblick mehr haben über die Vielzahl an relevanten Normen und Standards für die smarte Fertigung. Einen Überblick bietet hier der österreichische Normungs-Kompass Industrie 4.0.
Bei der Podiumsdiskussion am Vormittag wurde deutlich, dass das reine Entwicklen von Standards keine Lösung sein kann, weil diese auch in die Realität umgesetzt werden müssen. Da spießt es sich häufig an den eingefahrenen internen Prozessen, an unternehmerischen Überlegungen zu Investitionen und den nicht kooperativen MitarbeiterInnen. Einige Diskussionsteilnehmer wollen, dass gewisse Normen rund um die digitale Fertigung (vor allem, wenn es um Sicherheitsaspekte geht) gesetzlichen Charakter bekommen. Eine andere Ansicht war, dass es jetzt noch zu früh sei und man zuerst vieles ausprobieren müssen bevor große Standards fixiert werden. So fahren autonome Roboter in Fabriken sehr langsam, was ein Produktivitätsproblem darstellt, weil man so die Sicherheit der herumlaufenden MitarbeiterInnen sicherstellen möchte.
Meiner Ansicht nach wird hier von Technikern so gut wie immer nicht überlegt, welche Auswirkungen ihre Erfindungen auf den Menschen haben und wie die Zukunft bestmöglich gestaltet werden kann. Einzig Dr.in Neppel von der IEEE brachte auch die ethischen Auswirkungen von Technologien mit in die Diskussion. Es wurden u.a. die bekannten Asimov'schen Gesetze von 1942 und veränderte Berufsbilder der Zukunft (Hochspezialisierung, künstlerische Berufe) kurz angesprochen. Ihr Fazit: Arbeitsbedingungen können besser werden durch Roboter, aber man muss es heute berücksichtigen, damit wir es in 20 Jahren nicht bereuen. Dem kann ich mich nur anschließen!
Linktipps zur psychologischen Themen
- Thesenpapier der ExpertInnengruppe "Mensch in der digitalen Fabrik" vom Verein Industrie 4.0 "Arbeitsorganisation im Zeitalter der Digitalisierung"
- Ergebnispapier "Qualifikation und Komptenzen in der Industrie 4.0" vom Verein Industrie 4.0
Veronikas Sammlung von Tweets und vielen Fotos/Videos zum Kongress
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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