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Stressfalle Flexibilität: Wie zeitliche Freiheit krank machen kann

Führungskräfte müssen psychische Belastungen ernst nehmen - auch bei "freiwilliger" Überarbeitung.

Flexibilität wird oft mit Freiheit verwechselt – doch unklare Strukturen können gravierende Folgen für die psychische Gesundheit haben. Die Podcast-Episode 226 zeigt, warum auch freiwillige Wochenendarbeit und geteilte Arbeitstage zu ernstzunehmenden Belastungen führen können. Sie erhalten konkrete Empfehlungen, wie Führungskräfte und Berater:innen flexible Arbeitsmodelle gesundheitsförderlich gestalten können.

In dieser Episode sprechen wir über zeitlich flexible Arbeit und welche psychischen Belastungen damit einhergehen. Wir klären, warum gute Absicht nicht immer gute Wirkung bedeutet, was Führungskräfte tun können, selbst wenn die Leute freiwillig und gerne flexibel arbeiten. Danach können Sie besser einschätzen, welche Auswirkungen geteilte Arbeitstage und Wochenendarbeit auf die psychische Gesundheit haben – und welche präventiven Maßnahmen dabei wirklich nachhaltig sind.

Warum mache ich das zum Thema?

Weil das Buch "New Work und Arbeitsschutz" im Sommer 2025 erschienen ist. In diesem Herausgeberwerk habe ich ein Buchkapitel geschrieben, nämlich: "Psychische Belastungen, Konsequenzen und Prävention - am Beispiel zeitlich flexibler Arbeit". Und hier in dieser Podcast-Episode will ich die wichtigsten Aspekte zusammenfassen.

Verbindung zum Thema:

  • Viele Teams nutzen flexible Arbeitszeiten.

  • Diese werden oft als Freiheit empfunden und auch verlangt von Bewerber:innen.

  • Zeitlich flexible Arbeit wird immer populärer – besonders seit der Digitalisierung.

  • Aber: Der gefühlte Stress nimmt trotzdem zu in der Arbeitswelt.

Schwierigkeiten:

  • Flexible Arbeit ≠ gesunde Arbeit

  • Gute Absichten ("Ich arbeite nur kurz am Wochenende.") führen zu Entgrenzung. Arbeit und Freizeit werden vermischt, Grenzen verschwimmen.

  • Führungskräfte sehen oft nicht, wann und wie viel wirklich von den Leuten gearbeitet wird.

  • Verantwortung wird von Führungskräften unbewusst an Einzelpersonen abgeschoben (z.B. "Er wird sich schon melden, wenn es zu viel ist." oder "Sie macht das ja freiwillig, also wird das schon passen.")

Gelegenheiten:

  • Bei bewusster Gestaltung: Mehr Motivation, bessere Work-Life-Balance

  • Teams können Erreichbarkeit fair und gesund organisieren und müssen das letztendlich auch, weil die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ist ja seit 2013 gesetzlich vorgeschrieben und natürlich müssen auch New-Work-Formen (Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Arbeiten mit KI) einbezogen werden.

Was meine ich mit zeitlich flexibler Arbeit überhaupt?

Für mich sind hier folgende große Dinge relevant:

  • Geteilte Arbeitstage: Man arbeitet am Vormittag/in der Früh und dann wieder am Nachmittag/Abend, dazwischen ist eine lange Pause (nicht nur eine Mittagspause). Früher hatten das traditionellerweise Reinigungskräfte. Aber nun haben z.B. auch Eltern ohne gute Kinderbetreuung dieses Thema, wenn sie z.B. einen sehr flexiblen Bürojob haben.
  • Wochenendarbeit: Und hier meine ich in diesem Kontext jetzt nicht z.B. Rettungskräfte, sondern Menschen, die eigentlich im Büro arbeiten, aber freiwillig dann am Wochenende arbeiten, z.B. weil sie da nicht unterbrochen werden.

Wir kennen die Belastungen:
Entgrenzung von Arbeit & Freizeit, Erreichbarkeit, Schlafprobleme, ungesundes Verhalten, ...

Zeitlich flexible Arbeit ist aber nicht nur ein Gebot der Stunde, weil Menschen das verlangen sondern diese Autonomie steigert auch die Zufriedenheit von Beschäftigten. Diese Autonomie hat aber zwei Seiten: Nicht nur die Zufriedenheitssteigerung sondern auch die Erhöhung der Selbstausbeutung. Das ist das "Paradox der Autonomie".

Falsche Einstellungen und Lösungen:

  • Vorurteil: Wer freiwillig am Wochenende arbeitet, ist selbst schuld.

    Lösung: Auch bei Selbstgefährdung bleibt die Fürsorgepflicht bestehen!

  • Vorurteil: Alle profitieren von Zeitautonomie.

    Lösung: Autonomie kann auch zu Stress führen (Paradox der Autonomie).

Psychische Fehlbeanspruchungen

Es gibt viele Studien, die zeigen, welche Auswirkungen es geben kann. Einige Zitate dazu:

  • "Bei Jobs mit offizieller Rufbereitschaft haben Mitarbeiter schlechtere Stimmung und eine erhöhte Reizbarkeit – auch ohne dass ein Anruf kommt." (Paridon, 2016)

  • "Wenn man nach der Arbeit zu Hause noch E-Mails checkt oder Anrufe entgegennimmt, dann verkürzt das den Abstand zwischen Arbeit und Schlaf. Das führt zu längeren Einschlafzeiten, häufigerem nächtlichen Aufwachen und nächtlichem Grübeln." (Sonnentag, 2012 nach Paridon, 2016)

  • "Erweiterte oder ständige Erreichbarkeit für den Job auch in der Freizeit geht mit verkürzten oder unterbrochenen Erholungsphasen einher, was wiederum der körperlichen und psychischen Gesundheit schadet." (Birkner & Fischer, 2021)

  • "Eine koreanische Studie belegte den Zusammenhang zwischen der übermäßigen beruflichen Nutzung des Smartphones nach offiziellem Arbeitsende und Burnout." (Bausch, 2024)

  • "Studien zeigen den Zusammenhang zwischen Arbeiten am Smartphone, v. a. an eigentlich freien Tagen, und erhöhten Work-Life-Konflikten, Erschöpfung und Zynismus." (Wöhrmann, 2016)

Ressourcen:

Zeitlich flexible Arbeit ist aber auch positiv korreliert, auch dazu gibt es Studien.

  • "Jobs, bei denen freiwillig geteilte Arbeitstage und Wochenendarbeit möglich sind, haben einen hohen Tätigkeitsspielraum. Dieser korreliert mit hoher Arbeitszufriedenheit und Engagement im Job." (Rau & Hoppe, 2020)

Also:
Es hat alles seine 2 Seiten!

Präventionsmaßnahmen für Führungskräfte & HR:

  • Klare Regeln zur Erreichbarkeit

  • Realistische Terminplanung & realistische Arbeitsmenge

  • Transparente Kalender & fixe Austauschzeiten

  • Pausen akzeptieren, Misstrauen vermeiden

  • Tools mit Ruhezeiten nutzen

  • Arbeitsbedingungen regelmäßig hinterfragen und an Lebenssituationen anpassen

Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:

  • Zeitlich flexible Arbeit hat psychisches Potenzial – im Guten wie im Schlechten. Zeitlich flexible Arbeit bietet sowohl Chancen (Autonomie, Motivation) als auch Risiken (Stress, Entgrenzung).

  • Ohne klare Strukturen und Erwartungen entstehen gesundheitliche Risiken.

  • Entscheidend ist, dass Unternehmen das aktiv präventiv gestalten – durch klare Regeln, gesundheitsgerechte Organisation und Stärkung der Mitarbeitenden. Verhältnisprävention (z. B. Technik, Organisation) ist nachhaltiger als reine Verhaltensprävention.

  • Führungskräfte müssen psychische Belastungen ernst nehmen – auch bei "freiwilliger" Überarbeitung.

Aufgabe der Woche:

Sprechen Sie in Ihrem nächsten Beratungsgespräch mit Führungskräften konkret über die Erwartungen zur Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten. Und wie sie das selbst handhaben. Denn sie sind ja große Vorbilder!

Weitere Empfehlung:

Feedback und Fragen an Veronika Jakl:
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Hier geht es zur Online-Akademie "Pioniere der Prävention":

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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