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Industrie 4.0 - schöne digitale Arbeitswelt? | PASiG-Konferenz 2018

Jeder spricht von der Digitalisierung. Aber viel zu wenige arbeiten mit fundierten Erkenntnissen. Im PASiG-Workshop wurde das Thema vielfältig beleuchtet.

Bereits zum 20. Mal fand der Kongress des Fachverbands Psychologie in der Arbeitssicherheit und Gesundheit statt und über 300 TeilnehmerInnen folgten dem Ruf nach Salzburg.

Die 4 inhaltlichen Schwerpunkte (meiner besuchten Sessions) waren:

  1. Digitalisierung und Industrie 4.0
  2. Führung unterstützen
  3. Präventionskultur fördern
  4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglich

Doch was waren die neuen Erkenntnisse und spannenden Inputs?

 

Hinweis: Aufgrund der Informationsmenge ist dieser Veranstaltungsbericht in 3 Blogbeiträge aufgeteilt. Hier sind die Infos zu Digitalisierung und Industrie 4.0.

Bei Interesse an Führungskräften & Präventionskultur bzw. interdisziplinärer Zusammenarbeit bitte jeweils im nächsten Artikel weiterlesen!

 

Haben wir uns das so vorstellt?

Der Präventionsleiter der AUVA, Georg Effenberger, eröffnete die Konferenz mit einem Rundumblick über die Zukunftsthemen der Prävention. Das Zusammenwachsen von Safety & Security, das neue Österreichische Arbeitszeitgesetz (Stichwort: 12h-Arbeitstag), die veränderten Arbeitsbedingungen aufgrund einer globalisierten Wirtschaft (Stichworte: internationale Callcenter) wurden hier genannt.

Wie hat man sich eigentlich vor einigen Jahrzehnten die digitale Arbeitswelt vorgestellt? Oliver Villwock zeigte hierzu eine augenöffnende Doku des ZDF aus dem Jahr 1972:

 

Wozu die Digitalisierung nutzen?

Georg Effenberger: Wir sollten uns überlegen, worin Menschen am besten sind. Und das sind wohl nicht Standardabläufe, sondern Situationen wo Kreativität und Erfahrung gefragt sind. Wie bei Piloten, die zwar viel auf Autopilot fliegen, aber eingreifen, wenn die Situation vom Standard abweicht.

Rüdiger Trimpop, Uni Jena und PASiG-Leitung, stellte dem gegenüber, dass Menschen heutzutage eigentlich oft nur vom mechanischen Fließband zur bürokratischen Fließbandarbeit gewechselt haben.

Antje Ducki warf in einer Arbeitskreisdiskussion ein, dass wir die digitale Revolution dazu nutzen sollten spezifisch die menschlichen Stärken neu zu „kallibrieren“. Wir sollten anstreben mehr Qualität zu liefern und den Mensch wieder in den Mittelpunkt zu stellen. So sollte in der Pflege gemeinsam mit Robotern nicht das Ziel sein mehr Patienten zu betreuen, sondern eine höhere Betreuungsqualität zu liefern.

Es wurde mehrfach klar, dass hier sich Präventionsfachkräfte schon bei der Entwicklung von Robotern, Algorithmen und intelligenten Maschinen einmischen müssen und nicht (nur) im Nachhinein Dinge optimieren sollen.

 

Angst oder Vorfreude? Wie damit umgehen?

Oliver Villwock vom Deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales sprach in einem, zum Teil kontrovers diskutierten, Vortrag über Arbeit 4.0. und das Weißbuch Arbeit 4.0 (November 2016, Link hier). Oft wird ja der „Generationen Y“ ein Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsbedingungen und wenig Arbeitsengagement nachgesagt. In der Studie „Wertewelten“ wurden 1.200 Interviews zu 90min geführt. Es konnten hier keine signifikanten Unterschiede zwischen Altersgruppen gefunden werden hinsichtlich der Fragen: Was soll Arbeit für mich leisten? Oder: Ist Flexibilisierung positiv oder negativ?

Er stellte auch die These auf, dass die immer individuellere Produktion es verlangt, dass Arbeitgeber ihre MitarbeiterInnen als komplettes Subjekt „haben“ wollen und es höhere Ansprüche an Arbeit gäbe. Jedoch gäbe es auch ArbeitnehmerInnen mit Angst vor Flexibilität.

Auch der stärkere Wunsch von Menschen nach Sicherheit im Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos (im Vergleich zu Autos, die von Menschen gefahren werden) wurde erwähnt. Diese These wurde von Bernad Batinic, JKU Linz, bestätigt. Er zeigte ein Foto einer Stahlbrücke, die von 3D-Druckers erstellt wurde und merkte an: „Ich würde da nicht drüber fahren und zunächst mir anschauen, ob diese Brücke andere Autos trägt.“. Diese Skepsis hat er wahrscheinlich nicht bei konventionell gebauten Brücken.

Vortrag Prof. Batinic bei PASiG-Workshop - Folie mit 3D-gedruckter Brücke

Rüdiger Trimpop ergänzte diesen Gedanken in seinem Vortrag um den Aspekt der Risikokompensation durch Fahrerassistenzsysteme. Fahrer, deren Autos „mitdenken“, bremsen später und fahren schneller.

Auch die Fußgänger verhalten sich unbedachter, wenn sie wissen, dass die Autos rund um sie mit Assistenzsystemen ausgestattet sind!

Die vorher erwähnte Skepsis kann also bei vorhandenem Vertrauen auch zu tödlichem Vertrauen werden. Denn wenn trotz Assistenzsystem ein Unfall passiert, ist dieser eher tödlich.

 

Arbeitssicherheit, Gesundheit und neue Arbeitswelt - Wie passt das zusammen?

Im Arbeitsdialogkreis 18 wurden mithilfe der World-Café-Methodik viele Themen rund um die digitale Arbeitswelt besprochen und zum Teil kontrovers diskutiert. Oft prallten akademische Ansichten und praktische Unternehmenserfahrungen aufeinander.

Foto von Pinnwandergebnis aus Workshop bei PASiG 2018

 

Das Spannungsfeld zwischen Arbeitssicherheit/Gesundheit und Digitalisierung spürte man in vielen Sessions.

Sonja Gaukel von der BG Nahrungsmittelindustrie und Gastgewerbe befragte knapp 300 Sicherheitsfachkräfte. Diese schätzten u.a., dass die psychischen Belastungen in Zukunft ansteigen werden.

Cornelia Gedenitsch vom Austrian Institute of Technology zeigte in sehr übersichtlicher Form die vorhandenen und zukünftigen Herausforderungen von allen im ArbeitnehmerInnenschutz Tätigen.

 

Sylvia Rothmaier-Kubinecz, Arbeitspsychologin der AUVA, zitierte in der Podiumsdiskussion die Digitalcharta der EU, welche wir uns einrahmen sollten:

„Die Würde des Menschen ist auch im digitalen Zeitalter unantastbar.“

 

Was macht das mit uns? Was macht das mit der Forschung?

Bernad Batinic, Uni Linz, machte in seinem Vortrag zu „Arbeit 4.0 und Gesundheit“ einen breiten Schwenk über Internetnutzung, veränderte Branchenstrukturen, Stressoren und neue Technologien.

Er zeigte 4 Auswirkungen der technologischen Transformation:

Die 4 Auswirkungen der digitalen Revolution - Batinic, JKU Linz

Erlösend für viele ForscherInnen war seine Offenheit: Er habe das Gefühl, dass er mit seiner Forschung eigentlich nie am aktuellen Stand der Technik ist, sondern immer zu spät dran ist. Die Geschwindigkeit der Entwicklungen ist deutlich schneller als die Geschwindigkeit von Forschungsanträgen.

Spannend war auch der Einblick in neuste Forschungsmethodik. So ersetzt sein Team immer mehr Fragebögen durch direkte Messungen. Die Probanden müssen nicht mehr ihr Schlafverhalten einschätzen, sondern es werden intelligente Matratzen eingesetzt, die den Schlaf tracken. Das bringt natürlich den Vorteil der objektiven und genauen Messung, aber auch viele Datenschutzfragen.

Ich persönlich war entsetzt, wie viele „ältere“ TeilnehmerInnen neben mir scheinbar überrascht waren von den Beispielen für aktuelle Technologien oder irritiert von der dauerhaften Präsenz des Internets. Für mich persönlich ist das jetzt schon Alltag, obwohl ich auch noch ohne Smartphone aufgewachsen bin.

 

Allzu oft fühlen wir uns von all den vorhandenen Informationen im Büro, E-Mails am Handy und den unendlichen Wissensquellen erschlagen. Thomas Ellwart von der Uni Trier gab einen Überblick über diesen Themenkomplex. Informationsüberflutung hat viele Kontexte und Skalen unterscheiden viel zu selten zwischen Input und Erlebnis.

 

Wozu überhaupt?

Immer wieder kam die Diskussion auf, wodurch eigentlich technologische Fortschritte getrieben werden. Geht es um eine Optimierung (aufgrund von Kosten- oder Zeitdruck), das Ausnützen von technischen Möglichkeiten ohne Nutzenfokus oder auch um deregulative Politik? Was sind die Antreiber?

Sylvia Rothmaier-Kubinecz, AUVA, sieht, dass Entwicklungen oft aufgrund von Effizienzsteigerungen passieren und erst nach Nachhinein mit menschenzentrierten Argumenten angereichert werden. Wobei manchmal die Fehleranfälligkeit des Menschen und manchmal die Bedürfnisse des Menschen in den Vordergrund gestellt werden.

 

P.S.: Bei Interesse an Führungskräften & Präventionskultur bzw. interdisziplinärer Zusammenarbeit bitte jeweils im nächsten Artikel des PASiG-Berichts weiterlesen!

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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